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"Wie stellst du dir ein Gericht oder einen Gerichtssaal vor?"
11.03.2019In Deutschland kommen jährlich tausende Kinder und Jugendliche „als Beteiligte in familienrechtlichen Verfahren oder als (Opfer-)Zeugen in strafrechtlichen Verfahren“ (Graf-van Kesteren 2015: 5) mit dem deutschen Justizsystem in Berührung. Die Erfahrungen, die sie innerhalb der Justiz oder mit den dort beschäftigten Personen machen, sind oftmals (sekundär-) traumatisierend. Angefangen bei den allgemeinen strukturellen Begebenheiten über die nicht-kindgerechten Ausgestaltungen der Räumlichkeiten bis hin zu den Befragungsmethoden, kann weitestgehend nicht von einer kindgerechten Justiz gesprochen werden (vgl. Graf-van Kersten 2015). Um diesen Defiziten entgegen zu steuern, gibt es, auch in Verbindung zu der UN-Kinderrechtskonvention, erste Leitlinien des Ministerkomitees des Europarates für eine kindgerechte Justiz. Zudem liegen vereinzelte, zumeist interviewbasierte Studien vor, die Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen mit der Justiz thematisieren (vgl. u.a. FRA 2015; Stötzel 2005). Konzipiert als Mal- und Zeichenwettbewerb werden in einem Promotionsprojekt die Vorstellungen von Recht und Gerichtsbarkeit anhand von Kinderzeichnungen untersucht. Dabei geht es nicht nur vordergründig um Kinder, die bereits erste oder weitergehende Erfahrungen mit der Justiz gemacht haben, sondern auch um die Vorstellungen der Kinder, die noch keinerlei direkten Kontakt mit ihr hatten. Im öffentlichen Raum stehen Vorannahmen, denen zufolge Kinder auch weiterhin eine als Vorbereitung auf Erwachsenheit normierte Kindheit leben und die eigenen Interessen in justiziellen Institutionen wenig kompetent vertreten können. Dagegen geht die neuere Kindheitsforschung davon aus, dass Kinder nicht als passive Sozialisand*innen zu begreifen sind, sondern von Beginn an zu allen Bereichen von Gesellschaft aktiv Beiträge leisten. Das bedeutet, „dass Kinder schon immer kompetent an Gesellschaft teilhaben“ und auch die Asymmetrie „von Rechten und Pflichten [sowie] von Macht und Abhängigkeit“ (Bühler-Niederberger et al. 2015: 121) mitkonstituieren. Somit rückt auch ihr Agieren im juridischen Feld in den Fokus sozialwissenschaftlichen Interesses.
Eine Zeichnung erleichtert die Darstellung von etwas, das vielleicht schwer oder gar nicht in Worte zu fassen ist. Anhand der Kinderzeichnungen sollen u. a. Leerstellen in Bezug auf den Umgang mit Kindern im Recht/ in der Justiz aus Sicht der Kinder aufgezeigt werden, um so eine Sensibilisierung für eine kindgerechte Justiz zu fördern sowie den Umgang mit Kindern als kompetente Gesellschaftsakteure zu stärken.
Literatur:
Bühler-Niederberger, Doris; Gräsel, Cornelia; Morgenroth, Stefanie (2015): Sozialisation ‘upside down‘. Wenn das Kind als Akteur die Sozialisationsperspektive erobert. ZSE 35(2):119-38.
Europäische Agentur für Grundrechte (Fundamental Rights Agency ((FRA)) (2015): Child-friendly Justice. Perspectives and experiences of professionals on children`s participation in civil and criminal judicial proceedings in 10 EU Member states.
Graf-van Kesteren, Annemarie (2015): Policy Paper – Kindgerechte Justiz. Wie der Zugang zum Recht für Kinder und Jugendliche verbessert werden kann. Deutsches Institut für Menschenrechte.
Stötzel, Manuela (2005): Wie erlebt das Kind die Verfahrenspflegschaft? Studie zum Qualitätsstand der Institution Verfahrenspflegschaft (gemäß §50 FGG) unter Berücksichtigung der Perspektive des Kindes. Herbolzheim: Centaurus.