Diagnose per Fingernägel?

08.05.2025
Während der Aktion im Kaufhaus Karl: Bürgerinnen und Bürger geben an Stationen ihre Proben ab und fülle Fragebögen aus.

Datensammelaktion im Kaufhaus Karl (Foto: Fuldaer Zeitung | Stefan Herr)

Breite öffentliche Beteiligung ermöglicht Pilotstudie zur Zukunft der Gesundheitsdiagnostik

Lässt sich an der Beschaffenheit der Fingernägel erkennen, wie es um den Gesundheitszustand einer Person steht? „Viele Menschen scheinen das zu glauben. Doch belegt ist das bislang nicht“, sagt Marc Birringer. Er will das nun ändern.

Seit zehn Jahren schon reizt den Professor für Angewandte Biochemie für Ernährung und Umwelt die Frage, was dran ist an der Prognosefähigkeit der Fingernägel. „Mich interessiert, ob die Strukturen der Nägel Aufschluss darüber geben, wie gut wir mit Mineralstoffen wie beispielsweise Calcium, Magnesium oder Selen versorgt sind. Wenn sich das wissenschaftlich belegen lässt, dann können wir eine Mangel- oder Unterversorgung frühzeitig, ohne aufwendigere Untersuchungen erkennen und beispielsweise mit maßgeschneiderten Ernährungsprogrammen gegensteuern, bevor Krankheiten entstehen.“  

Doch für gesicherte Erkenntnisse sind große Mengen an Daten nötig, die zudem miteinander in Zusammenhang gebracht werden müssen: Nagelbilder müssen mit den Ergebnissen chemischer Analysen der Mineralstoffgehalte sowie Ernährungs-, Gesundheits- und Lebensstil-Daten in Beziehung gesetzt werden. Bislang lag hier das Problem: Zusammenhänge in großen Datenmengen zu erkennen, ist für Menschen kaum möglich. Das ist der Grund, warum aus der Idee lange Zeit kein Projekt wurde. 

Die Idee: Eine App

Nun verändert Künstliche Intelligenz (KI) die Rahmenbedingungen. Sie erlaubt präzise Diagnosen, bei Hautkrebs etwa ist das schon der Fall. Lassen sich mit ihrer Hilfe vielleicht auch bald an den Fingernägeln Ernährungsdefizite und Krankheiten ablesen, etwa die Knochengesundheit am Calciumgehalt in den Nägeln? Im Projekt NutriNAIL untersucht Marc Birringer mit seinem Team und Kolleginnen und Kollegen aus der Angewandten Informatik erstmals diesen methodischen Ansatz. Die Idee: Eine App zu entwickeln, die die Diagnostik über Bilder möglich macht. 

Im Sommer 2024 waren Interessierte aus der Region aufgerufen, Nagelproben abzugeben und anonymisiert einen Fragebogen zu ihrer Gesundheit und ihrem Lebensstil auszufüllen. „Wir brauchen für solche Projekte die Bürgerbeteiligung“, betont Marc Birringer. „Neben der KI ist sie der zweite wichtige Faktor für das Gelingen unseres Projekts, weil wir nur so möglichst viele verschiedene Altersgruppen und Lebensgewohnheiten erfassen können.“ 

Inzwischen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Fachbereich Oecotrophologie die Nagelproben in einem speziellen Gerät aufgelöst und chemische Analysen durchgeführt. Im Fachbereich Angewandte Informatik wurde anhand der Fotos die Struktur der Nägel bewertet. „Diese Daten kombinieren wir mit den Antworten aus den Fragebögen, um unsere Künstliche Intelligenz zu trainieren“, sagt Jan-Torsten Milde, Professor für Medien-IT and Webtechnologien, und unterstreicht die Vorteile der KI: „Die Künstliche Intelligenz macht es möglich, Muster zu erkennen, die mit bloßem Auge nicht zu erfassen wären.“ 

Zusammenhänge erkennbar

Erste vorläufige Auswertungen der Daten zeigen bereits Zusammenhänge, zum Beispiel bei dem essentiellen Spurenelement Selen, das das Immunsystem unterstützt, den Zellschutz fördert und zur Funktion von Schilddrüsenhormonen beiträgt: Personen, die sich vegan ernähren, weisen die niedrigsten Werte auf, während bei Menschen, die regelmäßig Fisch, Fleisch oder Eier essen, die Selenwerte höher liegen. 

Erkennen lässt sich auch, dass das Alter Spuren hinterlässt. Ältere Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten tendenziell weniger Kalium und Natrium, dafür aber zunehmend Chrom in ihren Nägeln. Chrom unterstützt als essentielles Spurenelement den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel sowie die Insulinwirkung im Körper. 

Obwohl erst ein Bruchteil der Daten ausgewertet ist, lässt sich schon jetzt festhalten: Die Studie hat Potenzial. „Aus den Fingernagelproben lassen sich erste Rückschlüsse auf den Lebensstil, die Ernährung und auf Erkrankungen ziehen“, sagt Marc Birringer. „Wir werden in weiteren Untersuchungen klären, wie die Zusammenhänge zu interpretieren sind.“ 

Die Frage, ob der Calciumgehalt in den Nägeln mit der Knochengesundheit korreliert und der Calciumgehalt in den Nägeln als Biomarker für die Knochengesundheit dienen kann, lässt sich auf Basis des vorhandenen Probenmaterials noch nicht beantworten. „Wir planen auf jeden Fall weitere Studien mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen.“

Der Text ist in leicht gekürzter Form zuerst auf der regionalen Wissenschaftsseite der Hochschule Fulda im Marktkork (Ausgabe 3. Mai) erschienen .
Zum Download