Betriebliche Gesundheitsförderung:
Ran an die Strukturen

11.07.2025
Indra Dannheim steht vor einer Fensterfront, die Hände entschlossen in die  Hüfte gestemmt.

Indra Dannheim fragte Beschäftigte, wie sie Belastungen am Arbeitsplatz reduzieren. Yoga- oder Sportkurse nannte niemand. In der Praxis habe sich ein Angebot entwickelt, das die Anforderungen der Beschäftigten kaum erfülle.

Indra Dannheim liefert mit ihrer Promotion Belege dafür, dass es sich lohnt, in gesundheitsfördernde Führung zu investieren

In vielen Betrieben gilt noch immer: Wer sein Verhalten optimiert, beugt gesundheitsschädlichem Stress am Arbeitsplatz vor. Doch längst ist klar: Führungskräfte spielen dabei eine Schlüsselrolle. Der Druck, dem sie ausgesetzt sind, macht sie allerdings selbst zu Adressaten von Betrieblicher Gesundheitsförderung. Indra Dannheim hat mit ihrer Promotion nun erstmals Belege dafür geliefert, dass sich spezifische Maßnahmen für Führungskräfte auszahlen. 

Indra Dannheim lacht. Nichts deutet darauf hin, dass Stress in ihrem Berufsalltag eine so große Rolle spielt. Seit vielen Jahren befasst sich die 32-Jährige bereits mit der Frage, wie Beschäftigte trotz Arbeitsverdichtung, Termindruck und sonstigen Belastungen am Arbeitsplatz gesund bleiben. Die Wahl-Fuldaerin ist überzeugt: „Um Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz langfristig zu erhalten, geht an Betrieblicher Gesundheitsförderung kein Weg vorbei.“ 

Doch für kleine und mittlere Unternehmen und Organisationen (KMUO) ist es eine Herausforderung, betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) zu etablieren, denn ihnen fehlen in der Regel die Ressourcen. Als Mitarbeiterin im Regionalen Innovationszentrum Gesundheit und Lebensqualität (RIGL-) Fulda versuchte Indra Dannheim daher, KMUO zu unterstützen. Vor allem befasste sie sich damit, wie Beschäftigte mit der Arbeitsbelastung umgehen. Was genau führt zu Belastungen und welche Wege sehen die Betroffenen, diese zu reduzieren? 

Kluft zwischen Angebot und Bedarf

Sie fand bestätigt, was sie seit längerem vermutete: „In unseren Workshops nannte keiner der Teilnehmenden Yoga- oder Sportkurse als Lösung. Ich konnte eine große Diskrepanz feststellen zwischen den selbst entwickelten Lösungswegen der Beschäftigten und den tatsächlichen Maßnahmen in den Betrieben, die sich nicht selten in Kursen und Schulungen erschöpfen.“ 

Unzählige BGF-Dienstleister seien inzwischen auf den Zug aufgesprungen und böten Maßnahmen zur individuellen Verhaltensoptimierung an. „In der Praxis hat sich ein Angebot entwickelt, das die Anforderungen der Beschäftigten kaum erfüllt“, bringt sie es auf den Punkt.

Stresserleben prägt Führungsverhalten

In der wissenschaftlichen Literatur las sie, dass Führungskräften eine zentrale Rolle zukomme, dass deren Stresserleben das Führungsverhalten beeinflusse und es einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem Wohlbefinden der Führungskraft und ihrem Verhalten gegenüber den Mitarbeitenden gebe. Damit war klar: „Wenn in KMUO betriebliche Gesundheitsförderung nicht strukturell verankert ist und keine Abteilung das Thema vorantreibt, dann ist die Einstellung der Führungskräfte umso entscheidender.“ 
Folgerichtig nennt der Leitfaden Prävention der Gesetzlichen Krankenversicherung gesunde Führung als priorisiertes Handlungsfeld für KMUO, lässt aber offen, ob Maßnahmen für Führungskräfte tatsächlich greifen. „Es fehlt an Evidenz“, sagt Indra Dannheim. „Ich finde es vor allem wichtig, zu hinterfragen, was Entscheidungsträgerinnen und -träger wirklich unter BGF verstehen, und welche Wirkung Maßnahmen für die Führungskräfte haben“, beschreibt sie ihren Ansatz, dem sie schließlich in einer Promotion nachging.   

Statuserhebung in der Region

Zehn Führungskräfte aus kleinen und mittleren IT- und technischen Dienstleistungs-Unternehmen der Region befragte sie zu ihrem persönlichen Stressbewältigungsverhalten. Ihre beispielhafte Statuserhebung zeigt: In KMUO sind Führungskräfte mit hohen arbeitsbedingten Stressoren wie hohem Arbeitsvolumen, Zeitdruck, Entgrenzung, Fachkräftemangel oder finanziellem Druck konfrontiert. Die Befragten berichteten von Erschöpfung, negativen Auswirkungen auf Arbeitsqualität und Führungsperformance, Ängsten sowie Konflikten am Arbeitsplatz und in der Familie. „Führungskräfte gefährden oft bewusst ihre Gesundheit zugunsten der eigenen Arbeitsziele“, stellt sie fest.

Eine noch wichtigere Erkenntnis war: Organisationsentwicklung wurde zwar am häufigsten als Strategie zur Reduzierung von Arbeitsbelastungen genannt. Aber: Keiner der Befragten nannte BGF als mögliche Bewältigungsstrategie. Die Beschäftigten versuchen also, Strukturen umzubauen, bringen diesen strukturellen Ansatz jedoch nicht mit BGF in Verbindung. „Ein Problem“, findet sie, „weil BGF als Unternehmensstrategie großes Potenzial hat, um Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz zu stärken.“ Deshalb rät sie: „Betriebe sollten Gesundheitsförderung verstärkt als Organisationsentwicklungsprozess begreifen.“

Gesunde Strukturen statt Schulungen

Damit ist sie nicht alleine. Auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler empfehlen inzwischen, auf gesundheitsfördernde Organisationsentwicklung zu setzen. „Wir sollen am Arbeitsplatz ja nicht nur Yoga und Entspannungsübungen machen, sondern eine Leistung erbringen. Deshalb ist es sinnvoll, Gesundheitsförderung als einen integrativen, strategische Ansatz wahrzunehmen, der auf die Gestaltung gesunder Arbeitsstrukturen und Prozesse abzielt“, begründet sie ihre Position. 

In zwei weiteren Untersuchungen fand sie Hinweise darauf, dass spezielle Maßnahmen für Führungskräfte tatsächlich wirksam sein können. Dazu wertete sie die Ergebnisse bereits veröffentlichter Studien unter zwei Fragestellungen aus. Zum einen wollte sie wissen, inwieweit die Wirksamkeit von Stressmanagement-Interventionen für Führungskräfte bereits belegt ist; zum anderen interessierte sie, ob sich auch Effekte solcher Interventionen für Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeitenden nachweisen lassen. 

Maßnahmen sind wirksam

„Die Ergebnisse sind zwar insgesamt nur begrenzt aussagekräftig“, schränkt Indra Dannheim ein, weil etwa die Stichproben zu klein und die Interventionen und Settings zu unterschiedlich seien. Und weil alle untersuchten Studien in der Arbeitswelt durchgeführt wurden, was im Vergleich zu Laborstudien die Zufallsverteilung erschwere und diese als hoher Qualitätsstandard für Interventionsstudien gelten würde. 

Doch immerhin lasse sich auf Basis der Studienlage sicher sagen, dass Stressmanagement-Interventionen für Führungskräfte ein wirksames Instrument sein können, um die psychische Gesundheit sowie arbeitsplatz- und führungsbezogener Endpunkte, wie zum Beispiel die Arbeitszufriedenheit und die Führungskompetenz, zu verbessern. Auch was die Wirkung gesundheitsorientierter Interventionen für Führungskräfte auf die Gesundheit und des Wohlbefindens von Mitarbeitenden angeht, ließen sich positive Effekte finden: Wo in die Gesundheit der Führungskräfte investiert wurde, gab es weniger Erschöpfungstendenz, weniger krankheitsbezogene Abwesenheiten, mehr Arbeitszufriedenheit.  

„Diese Ergebnisse sind auf jeden Fall belastbar genug, um KMUO zu empfehlen, auf eine gesundheitsfördernde Organisationsentwicklung zu setzen und die Führungskräfte stärker in den Blick zu nehmen“, ordnet Indra Dannheim ihre Befunde ein, fügt aber hinzu: „Nichtsdestotrotz dürfen BGF-Maßnahmen für Führungskräfte nie als alleiniger Ansatz zur Reduzierung arbeitsbedingter Erkrankungen betrachtet werden. Sie sind vielmehr ein Baustein eines ganzheitlichen Ansatzes, der Verhaltens- und Verhältnisprävention miteinander kombiniert und Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz als eine gemeinsame Aufgabe versteht.“ Wertvolle Erkenntnisse für eine vorwiegend durch KMUO geprägt Region.

 

Zur Person:
Indra Dannheim studierte den Bachelorstudiengang Gesundheitsförderung an der Hochschule Fulda und der Metropolitan University Kopenhagen (2012-2015) und machte ihren Master im Studiengang Prävention und Gesundheitsförderung an der Europa-Universität Flensburg (2015-2018). Bei SAP in Walldorf sammelte sie als Werkstudentin erste praktische Erfahrungen in der Betrieblichen Gesundheitsförderung. Dann wollte sie nach Fulda zurück, wo sie ihren ersten festen Job im RIGL-Fulda bekam. Sie arbeitete eng mit der IHK Fulda zusammen und ist seitdem Jurymitglied beim Prädikat „Gesund arbeiten in FD“. 2024 machte sie sich selbstständig. Im Juni dieses Jahres schloss sie an der Universität Paderborn ihre Promotion ab zum Thema: Betriebliche Gesundheitsförderung für Führungskräfte vor dem Hintergrund des Präventionsprinzips „Gesundheitsgerechte Führung“. Beispielhafte Statuserhebung in kleinen und mittleren Unternehmen sowie Wirksamkeitsbewertungen gesundheitsorientierter Interventionen für Führungskräfte. Sie promovierte kumulativ, das heißt, sie veröffentlichte drei Artikel in renommierten Fachzeitschriften, die zuvor von Fachkolleginnen und Kollegen begutachtet worden waren (peer review).

Hinweis: Der Text erschien in leicht gekürzter Form gedruckt am 12. Juli 2025 auf der regionalen Wissenschaftsseite und ist hier abrufbar.