Gewalt gegen Ältere erkennen und vermeiden

Projektleitung:
Prof. Dr. Beate Blättner
Prof. Dr. Henny A. Grewe

Mitarbeiterinnen: 
Rebekka Hocher, M.Sc. (2013 - 2014); Kathrin Möller, M.Sc. (2013 - 2014);
Anna Grundel, M.Sc. (2011 - 2013); Katharina Liepe, M.Sc. (2011 - 2013)

Studentische Hilfskräfte:
Tanja Göbel (GF); Lilien Liu (GF); Julia Glöckner (PM)

Gefördert von: BMBF im Rahmen der Ausschreibung SILQUA-FH
Förderkennzeichen: 17S04X11

Kooperationen regional: Schutzambulanz Fulda
Pflegestützpunkt Fulda
ambulante Pflegedienste in Hessen
Pflegeberaterinnen und -berater

Kooperationen überregional: Interreg IV Projekt Österreich-Italien Gewalt im Alter- Violenza nella terza età
Projekt Potentiale und Risiken in der familialen Pflege (PURFAM, Leitung 
Prof. Dr. S. Zank und Prof. Dr. C. Schacke)

Laufzeit: 01.07.2011 – 31.10.2014

Projektbeirat: 
Prof. Dr. med. Andrea Berzlanovich, Department für Gerichtsmedizin der Medizinischen Universität Wien
Prof. Dr. Thomas Görgen, Deutsche Hochschule der Polizei 
Volker Gussmann, Nursing Consulting für Einrichtungen der stationären Altenhilfe NCESA 
Barbara Nägele, Zoom - Gesellschaft für prospektive Entwicklungen e. V. 
Prof. Dr. Susanne Zank, Universität zu Köln

 

Publikationen

·         Grundel A, Liepe K, Blättner B (2014): Handeln bei Gewalt in der häuslichen Laienpflege: Hilfen und Hindernisse für ambulante Pflegekräfte. Pflegewissenschaft 11: 646-652

Blättner B, Grundel A, Hocher R, Grewe HA (2014): Bei Gewalt von pflegenden Angehörigen gegenüber Pflegebedürftigen: Optionen und Barrieren der Intervention im häuslichen Umfeld. Soziale Sicherheit 8-9: 301-308

Grundel, Anna ; Liepe, Katharina ; Fuchs-Römmelt, Ulrike ; Möller, Kathrin ; Hocher, Rebekka ; Grewe, Henny A. ; Blättner, Beate (2014): Dokumentation auffälliger Befunde bei Pflegebedürftigen: Handlungsempfehlungen für Pflegefachkräfte. pg-papers 01/2014, Fulda.

Liepe K, Blättner B, Grewe HA (2014): Handlungsempfehlungen bei Gewalt gegen ältere, pflegebedürftige Menschen. Pflegewissenschaft 05/14: 278 – 288.

Grundel A, Liepe K, Blättner B, Grewe HA (2012): Gewalt in der häuslichen Pflege. Instrumente zur Risikoeinschätzung. Die Schwester Der Pfleger plus* 3/12: 44-47.

Grundel A, Liepe K, Blättner B, Grewe HA (2012): Gewalt gegen Pflegebedürftige durch Angehörige. Eine systematische Übersicht über Befragungs- und Assessment-Instrumente. Pflegewissenschaft 7-8/12: 399-407.

Blättner B, Grundel A, Hocher R, Grewe HA (2014): Bei Gewalt von pflegenden Angehörigen gegenüber Pflegebedürftigen: Optionen und Barrieren der Intervention im häuslichen Umfeld. Neue Instrumente zum Gewaltschutz sind notwendig. Soziale Sicherheit 08-09/14: 301 – 308.

Hintergrund und Zielsetzung

Schätzungen zufolge widerfährt 2,7 - 19,4 % aller älteren Menschen emotionale, körperliche oder sexualisierter Gewalt, Vernachlässigung, Freiheitsentziehung oder materielle Ausbeutung. Pflegebedürftigkeit ist mit erhöhter Vulnerabilität verbunden. Die Gewalt kann von pflegenden Angehörigen ausgehen. 

Genaue Daten liegen auf Grund unterschiedlicher Operationalisierungen des Gewaltbegriffs sowie methodischer Schwierigkeiten beim Feldzugang nicht vor. Das Risiko für Gewalt durch pflegende Angehörige ist abhängig von der Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und Pflegenden, der Art und Schwere der Pflegebedürftigkeit, Erkrankungen der Pflegenden, kognitiven Beeinträchtigungen der Pflegebedürftigen und dem sozialen Netzwerk. 

Aufgrund von Pflegeberatung oder ambulanter Dienstleistungen haben Pflegefachkräfte Zugang zur häuslichen Umgebung pflegebedürftiger Personen, sofern diese Leistungen nach SGB XI erhalten. Deshalb können Sie eine Schlüsselrolle beim Erkennen, Ansprechen, Dokumentieren und Weiterleiten im Kontext von Gewalt durch Angehörige einnehmen.

Die Handlungssicherheit von Pflegefachkräften aus der ambulanten Pflege oder der Pflegeberatung im Umgang mit Verdacht auf Gewalt gegenüber pflegebedürftigen Menschen sollte deshalb erhöht werden. Es interessierte, wie Pflegefachkräfte bei der Aufgabe des Erkennens, Ansprechens, Dokumentieren und Weiterleitens unterstützt werden können. Versorgungsstrukturen, die eine nachhaltige Implementierung von Maßnahmen zum Gewaltschutz in der ambulanten Pflege unterstützen oder behindern, sollten identifiziert werden.

Vorgehen

  1. Assessmentinstrumente und Handlungsempfehlungen wurden in internationalen Datenbanken systematisch recherchiert und auf ihre Übertragbarkeit in den deutschen Versorgungskontext hin überprüft.
  2. In Interviews und Fokusgruppendiskussionen mit Pflegekräften sowie Akteuren aus dem Versorgungssektor wurden geeignete Interventionsstrategien erarbeitet.
  3. In ambulanten Pflegediensten wurden Schulungen zum Umgang mit Verdachtsmomenten durchgeführt.
  4. Eine Handlungsempfehlung für ambulante Pflegedienste mit Dokumentationsbogen zur Erfassung auffälliger Befunde in häuslichen Pflegesituationen wurde in einem Konsensverfahren erarbeitet.
  5. Ein Leitfaden für eine erfolgreiche Implementierung der Handlungsempfehlung in ambulanten Pflegediensten wurde erstellt.

Ergebnisse

Ambulante Pflegedienste bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen den Zielen, das Wohlbefinden ihrer Klienten zu sichern und dabei rechtlich korrekt und wirtschaftlich zu handeln. Pflegekräfte werden dabei mit Situationen konfrontiert, in denen sie sich fragen, ob die Pflegebedürftigen angemessen versorgt werden. Zugleich möchten sie keine ungerechtfertigten Verdächtigungen aussprechen. Interventionen erfolgen deswegen oft spät und nicht immer erfolgreich.

Ist die Gewalt Ergebnis von fachlicher oder emotionaler Überforderung, können Pflegedienste mit eigenen Maßnahmen reagieren, z.B. Beraten oder Empfehlungen zur Ausweitung des Leistungsspektrums anbieten. Wie innerhalb eines ambulanten Pflegedienstes agiert werden kann, um Gewaltrisiken und Gewaltwiderfahrnisse zu erkennen und angemessene Strategien zum Umgang damit zu entwickeln, dafür liegen Empfehlungen und Checklisten vor.

Geraten Pflegedienste oder Personen der Pflegeberatung an den Punkt, an dem interne Handlungsmaßnahmen nicht mehr greifen, bricht die Handlungskette oft ab. Es bestehen Unsicherheiten über Zuständigkeiten und Zweifel am Erfolg der Maßnahmen. 

Voraussetzung für jegliche Kommunikation mit externen Akteuren ist eine sorgfältige, nicht wertende Dokumentation der Beobachtungen.

Zuständigkeiten für Prävention und Intervention von Gewalt durch pflegende Angehörige sind in Deutschland nicht geregelt. Für Pflegeberaterinnen und -berater bieten sich strukturell Pflegekassen als Ansprechpartner an. Die Umstellung von Leistungen durch die Pflegekasse muss von den Angehörigen aber nicht angenommen werden und ist nicht immer zielführend. In Hessen kann seit 2012 die Hessische Betreuungs- und Pflegeaufsicht (HBPA) ein Ansprechpartner für Pflegefach-kräfte sein. Sie hat den gesetzlichen Auftrag, die Qualität der Pflegeversorgung zu über-prüfen. Beide Stellen können Maßnahmen koordinieren und ggf. weitere Akteure hinzuziehen. 

Pflegedienste sind verpflichtet ein Qualitätsmanagementsystem zu führen und Nachweispflichten zu entsprechen. Die Nachweispflicht wird als Hindernis für pflegerische Arbeit empfunden. Dies wirkt hemmend auf die Motivation, Neuerungen einzuführen, zu denen Pflegedienste nicht verpflichtet sind. 

Eine Integration eines Verfahrens zum Umgang mit Gewaltrisiken und Verdacht auf Gewalt in das diensteigene Qualitätsmanagementsystem bietet dennoch Chancen auf eine nachhaltige Implementierung und zuverlässige Verbreitung von Inhalten zur Gewaltprävention in die Handlungsroutinen.

Ausblick

Ein verbindlicher Rechtsrahmen ist die Voraussetzung für eine flächendeckende, verbindliche Umsetzung des Schutzes Pflegebedürftiger vor Gewalt durch Angehörige. Ambulante Pflegedienste und stationäre Pflegeeinrichtungen benötigen darüber hinaus Unterstützung bei der Implementierung von Konzepten zum Schutz vor Gewalt gegenüber Pflegebedürftigen und Pflegekräften.

Hilfen für die Praxis