TeenA: Teen Dating Violence – Typologien und Assoziationen zu gesundheitsrelevanten Merkmalen

Projektleitung: Prof. Dr. Beate Blättner
Dipl.-Soz.-wiss. Werner Hofmann 

Mitarbeiterin: Kristin Schultes, M.Sc.

Hilfskräfte: Lieselotte Lieding, B.Sc.   

Gefördert von: Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) 

Laufzeit: gefördert vom 01.04.2015 bis zum 31.03.2016; Fortsetzung des Projektes aus Eigenmitteln

Hintergrund und Fragestellung

Grenzüberschreitungen und Gewalt in Teenagerbeziehungen (Teen Dating Violence) sind auch in Deutschland kein seltenes Phänomen und mit erheblichen gesundheitlichen Risiken verbunden. Die Prävention gilt als erfolgreicher Ansatz der Prävention von Partnergewalt unter Erwachsenen, zugleich spiegelt sich in den bislang erhobenen Daten die Geschlechterasymmetrie von Partnergewalt nicht hinreichend wieder. Dies könnte u.a. daran liegen, dass die Instrumente nur bestimmte Gewalttypologien abbilden.

Die internationale Forschung lässt insgesamt noch etliche Fragen der Einordnung offen, die für die weitere Forschung über Ausmaß, geschlechterdifferente Verbreitung, Zusammenhänge zu gesundheitsrelevanten Merkmalen und Präventionsmöglichkeiten von erheblicher Bedeutung sind.

Die Abfrage von Gewalthandlungen in Form von Gewaltskalen lässt insgesamt wenige Rückschlüsse auf die Komplexität von Gewalt und ihrer Genderdifferenzierung zu. Geschlechterdifferente Unterschiede in den Gewaltvorkommen in Teenagerbeziehungen werden möglicherweise dann sichtbar, wenn der Gewaltkontext, d.h. die jeweilige Vorgeschichte, die konkrete Situation und Umgebung, der Ablauf der Eskalation und weitere Rahmenbedingungen erhoben werden.

Ziel des Projekts ist es, Erkenntnisse zu generieren, die eine bessere Einordnung des Phänomens Teen Dating Violence in die Diskussion über Gewalt im Geschlechterverhältnis ermöglichen Gewaltkontexte und Assoziationen zu gesundheitsrelevanten Merkmalen sollen messbar gemacht werden.

Insbesondere interessiert:

  • Was erleben Mädchen und Jungen zwischen 14 und 18 Jahren als grenzüberschreitende oder gewaltsame Widerfahrnisse von sich oder Gleichaltrigen? Wie beschreiben sie die Situationen, aus denen heraus Teen Dating Violence entsteht?
  • Welche Typologien von Gewalthandlungen, die Kontexte berücksichtigen, lassen sich daraus bilden und wie könnten sie für spätere standardisierte Befragungen operationalisiert werden? Könnte es mit diesen Typologien möglich sein, genderdifferente Formen und Situationen von Gewalt besser zu erfassen?
  • Welche gesundheitsrelevanten Merkmale sind in den Beschreibungen der Mädchen und Jungen mit Teen Dating Violence assoziiert? In welcher Form werden von den Jugendlichen solche Assoziationen als Ursache-Wirkungs-Beziehungen skizziert und inwieweit sind Jugendliche in der Lage, solche Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu erkennen?
  • Lassen die Assoziationen wiederum Rückschlüsse auf Gewaltkontexte zu? Mit welchen Instrumenten können entsprechende Merkmale erfasst werden? Sind in internationalen Studien Lösungen gefunden worden, die Zuschreibungen von Ursache-Wirkungs-Beziehungen durch die Jugendlichen in quantitativen Analysen mit zu erheben?

Vorgehen

Es wurden acht Fokusgruppen und vier Einzelinterviews mit 50 Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren, davon 37 Mädchen und 13 Jungen, durchgeführt. Die Jugendlichen wurden in den Interviews aufgefordert, von schwierigen Situationen, die in Beziehungen entstehen können, zu berichten. Dabei wurden sie als Opfer, Täter und direkte oder indirekte Zeugen angesprochen. Die Gespräche wurden auf Tonband aufgenommen und auf dieser Grundlage Erinnerungsprotokolle verfasst. In der Analyse wurden als Fall Situationen verstanden, in denen es zu grenzüberschreitendem oder gewalttätigem Verhalten gekommen ist. Es handelte sich um 46 Situationen, davon wurden 12 aus der Perspektive des Opfers beschrieben, 2 aus der Täterperspektive und 32 Situationen aus einer Zeugenperspektive, davon 8 direkt beobachtet. Ziel der Analyse nach Kelle und Kluge (2010) war eine Typenbildung.

Ergebnisse

Auf Grundlage der Fokusgruppen und Interviews konnten vier Typen gebildet werden. Beim ersten Typus, der sich durch die Kontrolle sozialer Kontakte auszeichnet, steht das Thema Eifersucht im Zentrum des grenzüberschreitenden Geschehens. Da die Interpretation von Intimität und der daraus resultierenden Verbindlichkeit unterschiedlich ist, entsteht bei Jugendlichen Unsicherheit über den Grad der Bindung. Ziel der Grenzüberschreitungen, die diesem Typus zuzuordnen sind, ist die Überwachung, ob Intimität mit anderen Partnern oder Partnerinnen erfolgt. Dieser Typus tritt in symmetrischen und asymmetrischen Beziehungen auf und kann von Mädchen und Jungen ausgehen.

Der Typus Kontrolle persönlicher Entscheidung ähnelt dem beschriebenen Typus im ersten Moment. Hier geht aber der dominante Partner, der Junge, weitergehend davon aus, dass Intimität grundsätzlich mit dem Recht verbunden ist, der Partnerin Vorschriften zu machen, wie sie sich kleiden und mit wem sie sich treffen darf sowie welche religiösen oder politischen Einstellungen sie teilen soll. Nicht-Einhaltung der Vorschriften kann zur Eskalation von Gewalt oder der Beendigung der Beziehung führen.

Der sexuelle Übergriff ist in der Regel ein einmaliges Ereignis. Die erzählten Situationen, in denen Mädchen mit dem Einsatz psychischer und körperlicher Gewalt zum Objekt sexueller Handlungen wurden, passen zu einer Interpretation, nach der es den Tätern um das grundsätzliche männliche Recht geht, Mädchen und Frauen zum sexuellen Objekt zu machen. Es sind eindeutig asymmetrische Beziehungskonstellationen. Das Spektrum der Handlungen reicht von sexueller Belästigung über den Versuch Sexualität zu erzwingen, bis zu schweren Formen vollzogener sexueller Gewalt.

Die Ausübung von Macht und Kontrolle einer Person gegenüber der anderen, die typische Form von Partnergewalt gegen Frauen, kommt auch unter Jugendlichen vor. Charakteristisch für den Typus Gewaltbeziehung ist die stark asymmetrische Beziehungsgestaltung zwischen den Geschlechtern, die dazu führt, dass die Beziehung vom Opfer trotz wiederholter Gewalterfahrungen oft nicht aus eigener Kraft beendet werden kann. Typisch sind auch die Kombination nahezu aller Gewaltformen sowie die völlige Willkürlichkeit und die Unberechenbarkeit auslösender Situationen. Fehlt zusätzlich noch die Unterstützung im sozialen Kontext, kann die Situation für die Opfer dramatisch eskalieren, sodass z. B. ausschließlich eine stationäre Aufnahme in der Psychiatrie zum (vorläufigen) Beenden der Gewaltbeziehung führt. Im Datenmaterial ist bislang diese Form nur als Gewalt von Jungen gegenüber Mädchen präsent.

Schlussfolgerung

In einzelnen Gewalttypen dominieren zwar bestimmte Gewaltformen, in keinem kommen sie aber grundsätzlich von anderen Formen getrennt vor. Dies bestätigt, dass eine reine Messung der Häufigkeit bestimmter Gewaltformen keine adäquate Erfassung darstellt. Es bedarf neuer Instrumente, die den Gewaltkontext berücksichtigen.

Aktuell arbeiten wir an der Entwicklung eines solchen Instrumentes.

 

Publikationen

Blättner B, Schultes K (2018): Gewalt in Intimbeziehungen Jugendlicher. Entwicklung einer Typologie als Basis für Prävalenzmessungen und Präventionskonzepte. Deutsche jugend; 66 (2): 72-29.
Blättner B, Schultes K, Hintz E (2017): Dating Violence - sexuelle Gewalt unter Gleichaltrigen. In: Retkowski A, Treibel A, Tuider E (Hrsg): Handbuch. Sexualisierte Gewalt und pädagogische Kontexte. Weinheim - Basel: Beltz Juventa: S. 325 - 332.
Lieding L, Mählmann S, Blättner B (2017): Substanzkonsum und Gewaltwiderfahrnisse Jugendlicher. Ist Teen Dating Violence ein Risikofaktor für gesundheits-schädigende Bewältigungsstrategien? Prävention und Gesundheitsförderung (zur Veröffentlichung angenommen).
Blättner B, Hintz E, Schultes K (2016): Gewalttätiges und grenzwertiges Handeln in den ersten Liebesbeziehungen Jugendlicher: Ein in Deutschland noch wenig wahrgenommenes Phänomen. ZJJ 1/27: 39-42.