Wege aus der Beziehungsgewalt

gefördert durch das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst

Projektleitung:  Prof. Dr. Daphne Hahn 

Wissenschaftliche Mitarbeiterin:  Lolita Herzig (B.Sc. Gesundheitsmanagement; M.Sc. Public Health)

Studentische Hilfskräfte:  Volker Amontow und Frauke Doherr

Laufzeit:  01.07.2011 – 31.12.2012

Kooperationspartner:  unterstützt vom Hessischen Sozialministerium 

Projektbeschreibung WAGE

Nach wie vor ist Gewalt gegen Frauen „die am häufigsten vorkommendste und universellste Verletzung der Menschenrechte“ (Europäische Kommission 2010: 25), die ohne Altersbeschränkung, Kultur- und Klassenunterschiede auftritt und sich stark auf den Gesundheitszustand und das soziale Leben der betroffenen Frauen sowie ihrer mitbetroffenen Kinder auswirken kann (vgl. Europäische Kommission 2010: 25). Den Ergebnissen der repräsentativen bundesdeutschen Befragung aus dem Jahr 2004 zufolge erlebt jede vierte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben Gewalt durch ihren Partner (Müller/ Schröttle 2004). Diese hohe Prävalenz und Inzidenz verdeutlicht die gesellschaftliche Bedeutung häuslicher Gewalt und ihrer Folgen.

Hintergrund und Einordnung in den Forschungskontext

Seit den 1970er Jahren haben sich Beratungsstellen und Frauenhäuser zur Unterstützung gewaltbetroffener Frauen etabliert, um betroffenen Frauen und ihren Kindern Schutz vor gewaltausübenden Partnern zu bieten. In den folgenden Jahrzehnten konnte eine kontinuierliche Verbesserung der Versorgung und Unterstützung dieser Frauen erreicht werden, die sich vor allem auf die Gesetzgebung und bessere Rechtsschutzmöglichkeiten, die ärztliche Dokumentation und Versorgung sowie die Einrichtung möglichst flächendeckender Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt bezog. 

Heute existieren bundesweit 330 Frauenhäuser und 60 Frauenzufluchtswohnungen mit insgesamt 7.000 Plätzen (Noll 2009). Aktuellen Jahresberichten hessischer Frauenhäuser zufolge setzen jedoch 25 % der dort schutzsuchenden Frauen ihre Gewaltbeziehungen anschließend fort, um nach erneuter Gewalteskalation wiederholt hier Zuflucht zu suchen. Dieser Prozess wiederholt sich in vielen Fällen mehrmals. Dieses wiederholte Verlassen und Zurückkehren zum gewaltausübenden Partner lässt sich auch unter den Frauen beobachten, die nicht den Schutz eines Frauenhauses in Anspruch nehmen  (vgl. Strube 1988; Campbell et al. 1994). Jede Fortsetzung einer Gewaltbeziehung bedeutet jedoch, sich selbst und mitbetroffene Kinder erneuten physischen und psychischen Gefährdungen auszusetzen. Die negativen gesundheitlichen und sozialen Folgen häuslicher Gewalterfahrung sind sowohl für die betroffenen Frauen als auch für die miterlebenden Kinder immens hoch. 

Neben den Frauen, die ihre gewaltausübenden Partner verlassen, gibt es auch Paare, die sich nach dem Auftreten von Partnergewalt nicht dauerhaft trennen und es schaffen, zukünftig ohne weitere Gewalteskalation zusammenzuleben (vgl. Barz/ Helfferich 2006; Gabriel/ Wolffersdorf 2006: 5). 

In den letzten zehn Jahren lag der Fokus der Forschung und Modellprojekte verstärkt auf dem medizinischen Bereich, weil medizinisches Personal als die ersten und häufig einzigen Ansprechpersonen gewaltbetroffener Frauen identifiziert wurde. Um die Ärzte- und Zahnärzteschaft stärker in die Ansprache, Dokumentation und Weiterleitung der Betroffenen einzubeziehen, wurden diverse Interventionen entwickelt und implementiert. Als entsprechende bundesdeutsche Modellprojekte zählen unter anderem S.I.G.N.A.L, M.I.G.G., A.U.S.W.E.G. und ZuGang.

Um Beziehungsgewalt auch von der verursachenden Seite aus zu reduzieren und die Verantwortungsübernahme für die Gewaltausübung und eine Verhaltensänderung der Täter zu erreichen, wurde in den letzten Jahren verstärktes Augenmerk auf diverse Täterprogramme gelegt. Die Teilnahme an diesen Täterprogrammen erfolgt in den meisten Fällen über eine Zuweisung der Justiz oder als Auflage des Jugendamtes, eine freiwillige Teilnahme aus Einsicht findet äußerst selten statt. Als erfolgversprechend gelten diese Programme, wenn sie abgeschlossen werden, wobei der Einbezug der Partnerinnen eine Verhaltensänderung unterstützen kann (vgl. Barz/ Helfferich 2006).

Die deutschland- und europaweit ergriffenen Maßnahmen zur Reduzierung häuslicher Gewalt  stützen sich hauptsächlich auf die drei großen Bereiche:

  • Sensibilisierung der Öffentlichkeit,
  • Sensibilisierung verschiedener Berufsgruppen über Schulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen und
  • Entwicklung und Angebot von Täterprogrammen (Europäische Kommission 2010: 140).

Untersuchungen, die sich darauf beziehen, welche Faktoren gewaltbetroffene Frauen dazu befähigen oder darin unterstützen, ihre Situation dauerhaft zu verändern und welche individuellen Hilfeangebote des psychosozialen Unterstützungssystems hier sinnvoll wären, sind bisher kaum erfolgt. 

Die Sekundäranalyse des Datensatzes der repräsentativen Studie des BMFSFJ aus dem Jahr 2004 zeigt, dass lediglich 14 % von häuslicher Gewalt betroffener Frauen das psychosoziale Unterstützungssystem in Anspruch nehmen, obwohl es mehr als 70 % der Frauen bekannt ist (Brzank 2011; vgl. Schröttle 2008: 43 ff.). Für viele betroffene Frauen und Paare, die sich häufig sowohl in ihren soziokulturellen Merkmalen, in der Konstellation der Gewaltbeziehung als auch in den ihnen zur Verfügung stehenden Bewältigungsstrategien oft deutlich unterscheiden, scheinen diese Angebote nicht passend zu sein. 

Projektziele

  • Es wird Wissen über die Probleme und den Unterstützungsbedarf gewaltbetroffener Frauen vor, während und nach der Trennung und bei dem Übergang in ein eigenständiges Leben generiert.
  • Es werden Erkenntnisse über protektive Ressourcen erlangt, erneute Gewaltverletzungen durch eine dauerhafte Trennung zu vermeiden.
  • Aufbauend auf den gewonnenen Erkenntnissen werden für den psychosozialen Unterstützungs- und Hilfebereich Empfehlungen zur Entwicklung individueller Unterstützungsangebote für gewaltbetroffene Frauen und Paare formuliert, um die Wiederholungsfälle von Partnerschaftsgewalt zu reduzieren.
  • Es wird Wissen über die Chancen und Grenzen der Täterberatungen erlangt, gewaltbetroffene Beziehungen gewaltfrei fortzuführen wie auch darüber, welche Ressourcen und Potentiale der Partner hierfür als relevant betrachtet werden können.

Vorgehen und Fragestellungen

Aus der Erhebung unterschiedlicher Perspektiven gewaltbetroffener Frauen sollen Ansätze und Möglichkeiten eruiert werden, die eine bedarfsgerechte Intervention bei häuslicher Gewalt erlauben. Diese Perspektiven sollen in einem qualitativen, Hypothesen generierenden Forschungsdesign erfasst werden, um unterschiedliche individuelle, partnerschaftliche und sonstige Konstellationen ermitteln und demnach Erfolg versprechende Interventionen und Handlungsempfehlungen ableiten zu können.

1. Die Perspektive der Expertinnen aus hessischen Frauenhäusern und Interventionsstellen:

  • Welche Hindernisse für eine dauerhafte Trennung vom gewaltausübenden Partner können identifiziert werden beziehungsweise welche Faktoren veranlassen Frauen dazu, ihre Gewaltbeziehung wieder aufzunehmen?
  • Welche externen und internen Faktoren und Ressourcen stehen den Frauen zur Verfügung, die in Frauenhäusern Schutz gesucht und sich anschließend dauerhaft getrennt haben?
  • Welchen weiteren Unterstützungsbedarf in welchen Phasen und Bereichen  haben Frauen, die sich aus Gewaltbeziehungen gelöst haben, nach dieser Trennung?

2. Die Perspektive gewaltbetroffener Frauen, die sich dauerhaft getrennt haben:

  • Welche vorhandenen Ressourcen dieser Frauen sind für eine dauerhafte Trennung ausschlaggebend und können nutzbar gemacht werden?
  • An welchem Punkt haben diese Frauen die Entscheidung für eine dauerhafte Trennung treffen können und was wäre notwendig gewesen, dass diese Entscheidung bereits früher hätte getroffen werden können?
  • Welche Unterstützung benötigen Frauen nach einer Trennung, um die gewaltbetroffene Partnerschaft nicht wieder aufzunehmen?

3. Die Perspektive gewaltbetroffener Frauen, die weiterhin mit ihrem Partner gewaltfrei zusammenleben:

  • Welche Voraussetzungen und Bedingungen ermöglichen es, mit gewalttätig gewordenen Partnern eine zukünftig gewaltfreie Beziehung weiterzuführen?
  • Über welche Ressourcen verfügen diese Frauen, in deren Partnerschaften weitere Gewaltausübung zukünftig unterbleibt?
  • Welche Rolle spielt in diesen Fällen eine Täterberatung und an welchem Punkt muss sie einsetzen, um hilfreich zu sein?

4. Die Perspektive der Experten aus der Täterberatung:

  • Welche Zugangswege könnten nutzbar gemacht werden, um Täter zur Teilnahme an Täterberatungen zu bewegen und die Angebote bekannter zu machen?
  • Welche Formen der Täterberatung sind bei unterschiedlichen Gewaltformen und Beziehungskonstellationen erfolgversprechend?
  • Welchen Einfluss haben welche Ressourcen und Potentiale beider Partner auf eine gewaltfreie Fortführung der Beziehung?

5. Die Perspektive der Täter:

  • Was bewegt die Männer dazu, eine Täterberatungsstelle aufzusuchen und welche Hilfestellung und Unterstützung brauchen sie, um die Partnerschaft gewaltfrei fortzuführen?
  • Über welche Ressourcen verfügen Männer, die sich auf eigenes Betreiben in Beratung oder Therapie begeben?
  • Welche weitere Unterstützung brauchen die Männer nach einer Täterberatung, um ihre Verhaltensänderung dauerhaft beibehalten zu können?
  • Wie erfahren Täter von der Existenz von Täterberatungsstellen und wie schätzen sie den Bekanntheitsgrad dieser Arbeit in der Öffentlichkeit ein?

Literatur

Brzank, P. (2011): Vortrag DGSMP-DGSM Bremen, 22.09.2011

Campbell J, Miller P, Cardwell M, Belknap R (1994): Relationship status of battered women over time. Journal of Family Violence 9/ 2: 99-111.

Barz, M., Hellferich, C. (2006): Häusliche Gewalt beenden: Verhaltensänderung von Tätern als Ansatzpunkt. Vorgehen und Wirkung von Täterprogrammen im Kontext von Interventionsprojekten gegen häusliche Gewalt in Baden-Württemberg. Schriftenreihe der Landesstiftung Badem-Württemberg. Stuttgart.

European Commission (2010): Violence against women and the role of gender equality, social inclusion and health strategies. Luxembourg, Publication office.

Gabriel, G., Wolffersdorff, v. C. (2006): Abschlussbericht Modellprojekt Täterorientierte Antigewalt-Arbeit. Beratungsstelle TRIADE: „Das ist einfach passiert“. Häusliche Gewalt und Täterarbeit. Sächsisches Staatsministerium für Soziales. Leipzig.

Müller, U., Schröttle, M. (2004): Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Eine repräsentative Untersuchung zu Gewalt gegen Frau­en in Deutschland . Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Noll, M. (2009): Situation der Frauenhäuser. Rede am 18.06.2009 im Deutschen Bundestag. www.michaela-noll.de/reden.html

Schröttle, M. (2008). Gewalt gegen Frauen in Paarbeziehungen. Eine sekundäranalytische Auswertung zur Differenzierung von Schweregraden, Mustern, Risikofaktoren und Unterstützung nach erlebter Gewalt. Berlin: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Strube, M. (1988). The decision to leave an abusive relationship: Empirical evidence and theoretical issues. Psychological Bulletin, 104(2): 236-250.