Gesellschaftliche Differenzierung bedeutet, dass in der Gegenwart spezialisierte Wissens-und Kommunikationsbereiche (sog. Funktionssysteme) nebeneinander existieren und nach je unterschiedlichen Gesichtspunkten mit anfallenden Problemlagen umgehen. Kein Funktionssystem hat das Primat, fallweise Abstimmungen müssen gefunden werden. Covid 19 stellt ein Problem dar, das von Funktionssystemen unterschiedlich aufgegriffen und verarbeitet wird. Dieser Sachverhalt wird unmittelbar anhand der gegenwärtigen Orientierung an virologischen und epidemiologischen Kenntnissen, die jedoch politische Entscheidungen und die Anordnung behördlicher Maßnahmen nicht ersetzen können. Politische Entscheidungen wirken sich massiv auf das Wirtschaftsgeschehen aus, und es ist völlig offen, wie die Ökonomie mit ihrer teilweisen staatlichen Ersetzung umgehen wird. Das System der Medien (siehe unten) greift Covid 19 sowie die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Implikationen zunächst unter dem Aspekt der Neuigkeit auf, übernimmt mitunter jedoch auch quasi-politische Funktionen, etwa die Verbreitung von Ausgangsbeschränkungen. Diese Überlegungen ließen sich noch um das Recht, aber auch um Probleme der Liebe (s. Sozialität) erweitern.

Plakativ formuliert stellen sich hier Fragen wie etwa: In welcher Hinsicht will oder kann wissenschaftliche Expertise (eigentlich an Wahrheit orientiert) politische Funktionen übernehmen? Welche Verständigungsprobleme entstehen dabei (exemplarisch sei hier die Rolle des mittlerweile medial omnipräsenten Virologen Christian Drosten angesprochen)? Umgekehrt: Welche Rolle spielen sich widersprechende wissenschaftlich fundierte Empfehlungen für politische Entscheidungen? Welche Rolle spielen alltägliche Erfahrungen von Gesellschaftsmitgliedern? Allgemeiner formuliert: Welche neuen Gleichgewichte zwischen funktionalen Imperativen pendeln sich gerade durch und nach Corona ein?

Von den Funktionssystemen ist das mediale dasjenige, das den allermeisten Gesellschaftsmitgliedern derzeit am meisten begegnet bzw. im hochgradig mediatisierten Alltag fortwährend wahrgenommen wird. Dass wir in einer medial ausdifferenzierten Gesellschaft leben, gilt seit über zwei Jahrzehnten als Allgemeinplatz, die immense beoachtbare Form-Funktions-Relation von Medien und pragmatischen Nützlichkeiten im Alltag scheint auch beim oberflächlichen Blick evident: Ortsungebundene Kommunikation via Mail und Telefon ermöglichen geographische und auch zeitliche Distanz, digitale Kommunikation über Instagram und Twitter vereinfacht selektive Adressierung von Mehreren.

Covid 19 bestätigt bekannte kommunikative Ordnungen, erweitert sie (etwa durch Podcasts von Virologen) und führt zugleich in kürzester Zeit zu neuen konstitutiven Merkmalen, die es festzuhalten und näher zu beschreiben gilt. Gespräche werden mit zwei Meter Abstand und zunehmender Lautstärke geführt, ortsungebundene Kommunikation führt derzeit quer durch alle Altersgruppen zur Synchronisierung getrennter Räume z.B. beim Spielen und Lernen auf Distanz. Unterschiedliche Kommunikationstypen wie massenmediale Berichterstattung in Nachrichtensendungen und Berichten sowie mesokommunikative Posts bei Twitter stehen in medienkonvergenter Verbindung, was wiederum von anderen Funktionssystemen aufgegriffen wird (siehe oben).

Zur Frage wird hier u.a.: Welche kommunikativen Ebenen werden derzeit für welche pragmatischen Funktionen (meso- und massenkommunikative Meldungen über neue politische Entscheidungen und Vorschriften, Statistiken, Aushänge zu Hilfsdiensten, semiotische Barrieren u.a.) genutzt? Wo zeigen sich Erweiterungen etablierter Praktiken (gemeinsames Singen auf Balkonen, gestreamte Life-Konzerte, Kinderspiele via Face-Time)? Welche Kompetenzen erfordert diese hochgradig mediatisierte Sozialität der Gegenwart? Gibt es im Sinne der Beschreibung medialer Logiken neue mediale Ordnungen?