BUSLAR

Bürgerhilfevereine und Sozialgenossenschaften als Partner der Daseinsvorsorge

Modellentwicklung zur ergänzenden Hilfeleistung für ältere Menschen im ländlichen Raum

Projektleitung: Prof. Dr. habil. Monika Alisch, Prof. Dr. habil. Martina Ritter
im Verbund mit der HS München Fakultät für angewandte Sozialwissenschaften: Prof. Dr. Annegret Boos-Krüger, Prof. Dr. C. Schönberger
Gefördert durch: BMBF, SILQUA-FH
Laufzeit: 9/2014-8/2017

Projektbeschreibung:

Kurzfassung
Spätestens mit dem Siebten Altenbericht und dem Zweiten Engagementbericht der Bundesregierung rücken die zivilgesellschaftliche Mitverantwortung für die Sorge und Versorgung älterer Menschen in den Fokus wissenschaftlicher wie insb. kommunalpolitischer Auseinandersetzungen. In selbstorganisierten Strukturen übernehmen Bürgerhilfevereine gerade in ländlichen Räumen freiwillig und unaufgefordert Aufgaben zum Erhalt des Gemeinwesens und Lebensqualität im Alter. Die Chancen und Grenzen dieses Engagements stehen im Zentrum des Praxisforschungsprojektes BUSLAR.

Begründung/Zielsetzung
In der politischen Diskussion um Versorgung in ländlichen Räumen wird das freiwillige Engagement gern als „Rettungsanker“ für Lücken der öffentlichen Daseinsvorsorge gesehen. Vor allem ältere Menschen nehmen diese Aufforderung an und organisieren sich z.B. in Bürgerhilfevereinen. Sie versuchen, solidarische Formen von Hilfe und Versorgung mit alltäglichen Dienstleistungen und Begegnungsmöglichkeiten einzurichten. Um diese Hilfen nachhaltig anzubieten, sind Bedürfnisse von „hilfebedürftigen“ älteren Menschen mit ihren eigenen Wünschen nach Aktivität und Kontakt zu verknüpfen und sich auch mit anderen Institutionen in der Region vernetzen. Solche Bürgerhilfevereine übernehmen somit eine Mitverantwortung für den Erhalt ländlicher Gemeinwesen. Bevor die Leistungsbereitschaft und Mitverantwortung solcher zivilgesellschaftlicher Initiativen eingefordert und -geplant werden kann, sind die Leistungsmöglichkeiten und die Bedingungen des Engagements genauer in den Blick zu nehmen. Das Praxisforschungsprojekt BUSLAR hat die Möglichkeiten und Grenzen selbstorganisierter Mitverantwortung in unterschiedlichen ländlichen Räumen untersucht, die Interessen und Bedürfnisse der Hilfeanbietenden und -nutzenden erforscht und Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Stabilisierung des Engagements untersucht. Dabei standen drei Zielperspektiven im Zentrum:

1. Ziele in einer Governance-Perspektive

  • Lokale und regionale sozialräumliche und politische Rahmenbedingungen analysieren;
  • Unterstützen der Netzwerkbildung zwischen Bürgerhilfeorganisationen und öffentliche Daseinsvorsorge und Pflegedienstleistern;

2. Ziele in einer Bedürfnis-Perspektive:

  • Interessensorientierungen in den Bürgerhilfeorganisationen ermitteln;
  • Bedürfnisse älterer Menschen in der Region verstehen;

3. Ziele einer Organisationsentwicklung:

  • Stärkung der Bürgerhilfeorganisationen als lokale selbstorganisierte Gemeinschaften;
  • Stabilisierung des Engagements durch tragfähige Organisationsmodelle;

Methoden
Methodisch folgt das BUSLAR-Projekt einem Ansatz transdisziplinärer Praxisforschung: Der Forschungs- und Entwicklungsprozess ist dabei gekennzeichnet durch im Diskurs zwischen Forschenden und Forschungsbeteiligten über die jeweiligen Ergebnisse der Forschungsschritte. Neben problemzentrierten Interviews mit den Engagierten aus drei Bürgerhilfevereinen in Osthessen und Oberbayern wurden Partizipationsverfahren (insb. Zukunftswerkstätten, World-Café und Varianten davon) als Erhebungsmethoden genutzt und nach Standards qualitativer Sozialforschung ausgewertet. Im Sinne einer auf Veränderung gerichteten Handlungsforschung wurde für die beteiligten Bürgerhilfevereine ein Beratungsprozess zur Organisationsentwicklung organisiert und von uns forschend begleitet, um die Critical Incidents in diesem Prozess zu analysieren und für die Modellierung von Entwicklungsoptionen solcher Bürgerhilfevereine zu nutzen.

Ergebnisse
Die Erkenntnisse des BUSLAR Projekt leisten einen Beitrag zur Diskussion um die Rolle des Engagements im Wohlfahrtsmix und zeigt Möglichkeiten und Grenzen selbstorganisierter Unterstützungsarrangements als „Sorgende Gemeinschaften“ (Caring Communities) auf: Das Engagement ländlicher Bürgerhilfevereine hängt maßgeblich von den Interessen und persönlichen Möglichkeiten der Engagierten ab. Damit ist es fragil und nicht ohne Weiteres in die Planungslogiken kommunalpolitischer Entwicklungsstrategien zur Sicherung von Daseinsvorsorge einzubinden. Zudem lässt sich dieses Engagement kaum überführen in professionalisierten Hilfesysteme oder solidarische Organisationen wie Genossenschaften, ohne das Engagement selbst zu gefährden, zu instrumentalisieren oder zu überfordern. Allerdings leiten solche selbstorganisierten Unterstützungsstrukturen jedoch einen erheblichen Beitrag zum Erhalt des Gemeinwesens und der Teilhabe insb. älterer Menschen, indem es Orte und Möglichkeiten der Begegnung, soziale Kontakte und Partizipation am öffentlichen Leben schafft sowie individualisierte alltägliche Unterstützungsleistungen in Kombination mit sozialen Begegnungen bereitstellt.

Schlussfolgerungen
In der (kommunalen) Politik und der Verwaltung ist ein grundsätzliches Umdenken erforderlich, um die Potenziale von Bürgerhilfevereinen für die nachhaltige Entwicklung der ländlichen Lebensorte auch für ältere Menschen zu nutzen: Dazu muss nicht nur erkannt werden, dass hier Potenziale liegen, die Daseinsvorsorge partnerschaftlich zu stärken, sondern es gilt zu verstehen und akzeptieren, wo die Möglichkeiten und vor allem die Grenzen des jeweiligen Engagements erreicht sind und hier eine Ressource eher überlastet als sinnvoll entfaltet wird. Kommunalpolitik und -verwaltung ist aufgerufen, eine entsprechende Scharnierfunktion zu übernehmen, die die Engagierten von Aufgaben des Vernetzungs- und Finanzierungsmanagements entlastet und den Anspruch ins Zentrum stellt, das fragile aber sozial bedeutsame Engagement zu erhalten und in seinem Eigensinn zu akzeptieren. D.h. auch, dass die Bereitstellung von Förderprogrammen mit entsprechenden Förderkriterien nicht grundsätzlich eine Stärkung solchen Engagements darstellen, wenn die Unterstützung durch die Kommunalpolitik unterschätzt wird. Diese Erkenntnisse sind räumlich übertragbar und gestalten sich relativ unabhängig von den politischen, wirtschaftlichen bzw. räumlichen Rahmenbedingungen.

Publikationen

  • Alisch, Monika; Ritter, Martina; Rubin, Yvonne; Solf-Leipold, Barbara (2019): Demokratische Partizipation im Alltag: Potenziale und Grenzen der Selbstorganisation am Beispiel von Bürgerhilfevereinen. In: Köttig, M./Röh, D. (Hrsg.): Demokratie und Soziale Arbeit. Theorien, Forschung und Praxis der Sozialen Arbeit Bd. 17. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. S. 133-141.
  • Rubin, Yvonne/ Alisch, Monika/ Ritter, Martina (2019): „Man muss auch mal zufrieden sein?!“ Die Anwendung partizipativer Forschungsmethoden zur Rekonstruktion von Bedürfnissen älterer Menschen. In: Mayrhofer, Hemma/Wächter, Natalia/Pflegerl, Johannes (Hrsg.): Partizipative Forschung in der Sozialen Arbeit zwischen Anspruch und Realität. ÖZS-Sonderheft. Ausgabe Dezember /2019
  • Alisch, Monika/ Boos-Krüger‚ Annegret/ Glaser‚ Roger/ Ritter‚ Martina/ Rubin‚ Yvonne/ Schönberger‚ Christine/ Solf-Leipold‚ Barbara (2018): „Irgendwann brauch' ich dann auch Hilfe ...!“ – Selbstorganisation, Engagement und Mitverantwortung älterer Menschen in ländlichen Räumen. Beiträge zur Sozialraumforschung, Band 17. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.
  • Alisch, Monika/Ritter, Martina/Glaser, Roger/ Rubin, Yvonne (2018): Engagement im Bürgerhilfeverein als Balanceakt zwischen sinnvoller Freizeitgestaltung, sozialer Teilhabe und Selbstprofessionalisierung. In: Scherger, S./Vogel, C. (Hrsg.): Arbeit im Alter. Zur Bedeutung bezahlter und unbezahlter Tätigkeiten in der Lebensphase Ruhestand. Altern und Gesellschaft. Bd. 1. Wiesbaden: Springer VS (im Erscheinen).
  • Boos-Krüger, Annegret/ Solf-Leipold, Barbara/ Henger, Erika/ Schönberger, Christine (2018): Bürgerhilfevereine, Sozialgenossenschaften „und Co“ in ländlichen Räumen als Partner der öffentlichen Daseinsvorsorge und Pflege: eine kritische Diskussion potenzieller Modelle. In: Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen (ZfgG), erscheint voraussichtlich Ende September in ZfgG 2018, Jg. 63, Heft 3.
  • Glaser, Roger/ Rubin Yvonne (2018): Benachteiligte älterer Menschen erreichen: Diskussion von Zugängen und Methoden. In: Alisch et al. (Hrsg.): Soziale Innovationen: Alter(n) in ländlichen Räumen. Perspektiven von Selbstorganisation, Teilhabe und Versorgung. Gesellschaft und Nachhaltigkeit, Bd. 6. Kassel: Kassel University Press (in Vorb.).
  • Ritter, Martina/ Alisch, Monika (2018): „Es braucht ein ganzes Dorf …“ Bürgerhilfevereine und Sozialgenossenschaften als Partner der Daseinsvorsorge. In: Alisch et al. (Hrsg.): Soziale Innovationen: Alter(n) in ländlichen Räumen. Perspektiven von Selbstorganisation, Teilhabe und Versorgung. Gesellschaft und Nachhaltigkeit, Bd. 6. Kassel: Kassel University Press, S. .
  • Rubin, Yvonne (2018): Freiwilliges Engagement in ‚sorgenden Gemeinschaften‘ – Eine genderkritische Analyse. Beiträge zur Sozialraumforschung, Band 19. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.
  • Solf-Leipold, Barbara (2018): Zum Verhältnis von Selbstorganisation und öffentlicher Daseinsvorsorge: Partnerschaft – Koexistenz – Konkurrenz?! In: Alisch et al. (Hrsg.): Soziale Innovationen: Alter(n) in ländlichen Räumen. Perspektiven von Selbstorganisation, Teilhabe und Versorgung. Gesellschaft und Nachhaltigkeit, Bd. 6. Kassel: Kassel University Press (in Vorb.).
  • Alisch, Monika/ Ritter, Martina/ Rubin, Yvonne/ Glaser, Roger (2017): Miteinander, Füreinander, für Andere? Selbstorganisierte Unterstützung für Ältere in ländlichen Räumen. Alisch, Monika; Hagspihl, Stephanie/ Kreipl, Claudia/ Ritter, Martina (Hrsg.) (2017): Alter(n) und Soziale Nachhaltigkeit. Interdisziplinäre Zugänge zu den Herausforderungen alternder Gesellschaften. Gesellschaft und Nachhaltigkeit, Bd. 5. Kassel: Kassel University Press. S. 173-191.
  • Alisch, Monika/ Ritter, Martina/ Glaser, Roger/ Rubin, Yvonne (2017): Partizipative Sozialraumforschung und das Verhältnis von Wissenschaft und Praxis in der Forschung mit freiwillig Engagierten. In: Alisch, M./May, M. (Hrsg.): Methoden der Praxisforschung im Sozialraum. Beiträge zur Sozialraumforschung, Bd. 15. Opladen, Berlin, Toronto. Verlag Barbara Budrich. S. 81-102.