Alte Privilegien abschaffen

31.01.2018
Prof. Dr. Karim Khakzar
Prof. Dr. Karim Khakzar, Präsident der Hochschule Fulda und Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz.
Foto: Hochschule Fulda

Gastkommentar des Fuldaer Hochschulpräsidenten Prof. Dr. Karim Khakzar im Handelsblatt

Über das Promotionsrecht der Fachhochschulen (FHs) bzw. Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAWs) wird noch immer heftig gestritten. Der Präsident der Hochschule Fulda und Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz, Prof. Dr. Karim Khakzar, hat nun auf einen Gastbeitrag des ehemaligen Vorsitzenden der Westdeutschen Rektorenkonferenz und Berliner Wissenschaftssenators, Georg Turner, im Handelsblatt vom 18. Januar reagiert.

Turner hatte darin die Universitäten als „Herz der Wissenschaften“ beschrieben, dem „der Infarkt durch Überanstrengung und Attacken von außen“ drohe. Prestigedenken und der Wunsch, den Universitäten ebenbürtig zu sein, hätten zum eigenständigen Promotionsrecht der FHs/HAWs geführt. Dabei würden diese gar nicht forschen, sondern lediglich nach wissenschaftlichen Methoden arbeiten.

„Das entspricht der vorherrschenden Sichtweise auf das Hochschulsystem in den 1970er- und 1980er-Jahren, der hochschulpolitisch aktiven Zeit von Herrn Turner. Es ist heute nicht mehr zeitgemäß“, entgegnet Khakzar und fordert: „Unser Bildungssystem braucht Raum für Entfaltung und fortschrittliche Hochschulpolitiker“. Sein Beitrag ist am 30. Januar ebenfalls im Handelsblatt erschienen.

Hier der komplette Text:

Das deutsche Hochschulsystem erlebte in den letzten 20 Jahren tiefgreifende Veränderungen, u.a. durch die Bologna Reform, die Exzellenzinitiative sowie den zunehmenden Wettbewerb. Die deutschen Fachhochschulen (FHs) und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAWs), wie sie in einigen Bundesländern inzwischen heißen, waren von diesen Entwicklungen besonders betroffen. Die Gleichwertigkeit der Abschlüsse (Bachelor, Master) sowie der inzwischen in allen 16 Landeshochschulgesetzen gesetzlich verankerte Auftrag der FHs/HAWs zur angewandten Forschung und zum Wissenstransfer lässt die ehemals scharfen Grenzen zwischen den Hochschultypen Universität und FH/HAW zunehmend verschwinden. Unstrittig ist inzwischen, dass die FHs/HAWs trotz schwieriger Rahmenbedingungen einen wichtigen Beitrag zur Forschung, zum Wissenstransfer und zu Innovationen leisten. Geschätzt ein Viertel der Professorenschaft an FHs/HAWs forscht und publiziert intensiv und wirbt regelmäßig Drittmittel ein. Damit werden nun allerdings auch alte Privilegien wie das Promotionsrecht infrage gestellt und neue Begehrlichkeiten bei der Verteilung der Ressourcen geweckt. Dass dies einigen Fürsprechern der alten Ordnung nicht schmeckt, zeigt der Handelsblatt- Gastkommentar von George Turner vom 18. Januar 2018. Er beschreibt die Universitäten als das „Herz der Wissenschaften, dem durch Überanstrengung und Attacken von außen der Infarkt droht“. Als Motive führt er Prestigedenken und den Ruf nach Gleichstellung mit den Universitäten an. Seine Analyse gipfelt in der Behauptung, an FHs/HAWs existiere keine Forschung, es würden allenfalls wissenschaftliche Methoden angewandt.

Das entspricht der vorherrschenden Sichtweise auf das Hochschulsystem in den 1970er- und 1980er-Jahren, der hochschulpolitisch aktiven Zeit von Herrn Turner. Es ist heute nicht mehr zeitgemäß. Forschung ist ohne exzellente Absolventinnen und Absolventen weder an Universitäten noch an FHs/HAWs möglich. Nicht Prestigedenken, sondern die schlichte Erkenntnis, dass gute Rahmenbedingungen für Promotionen zwingend gegeben sein müssen, um qualitätsvoll forschen zu können, haben den Ruf nach dem eigenständigen Promotionsrecht der FHs/HAWs laut werden lassen. Kooperative Promotionen, die an den FHs/HAWs betreut, aber über eine Universität abgewickelt werden, sind ein Weg, der leider häufig an Grenzen stößt: Einige Fachdisziplinen sind an Universitäten nicht oder nur am Rande vertreten, so die soziale Arbeit und die Pflegewissenschaften. In anderen Fachgebieten ist die Bereitschaft der Universitätsvertreter zur Kooperation kaum vorhanden. In den Ingenieurwissenschaften betreut an den Universitäten eine Professur im Mittel elf (!) Promovierende.

Eine qualitative hochwertige Betreuung zusätzlicher Promovierender von FHs/HAWs ist hier schwer vorstellbar. Dass es folglich Handlungsbedarf gibt, haben die Länder erkannt. Derzeit werden unterschiedliche Wege verfolgt, von gemeinsamen Graduiertenplattformen der Universitäten und FHs/HAWs über die Einbindung einzelner forschungsstarker FH/HAW-Professuren in die Strukturen der Universitäten bis hin zum eigenständigen Promotionsrecht. Es bleibt abzuwarten, welche Wege sich bewähren werden. Priorität hat dabei die hohe Qualität der Promotionen. Das Promotionsrecht in Hessen wird nur forschungsstarken Fachrichtungen verliehen. Die FHs/HAWs müssen eine Mindestzahl an forschungsaktiven Professuren nachweisen, die wiederum regelmäßige Publikationen und Drittmitteleinwerbungen belegen müssen. Strenge Qualitätssicherungssysteme sollen einen hohen Standard bei den Doktorarbeiten sicherstellen. So werden die Betreuung und die Begutachtung von unterschiedlichen Personen wahrgenommen – an Universitäten eher unüblich. Erwartet wird eine mindestens dreijährige eigenständige Forschungsarbeit mit neuen Erkenntnissen. Die Mehrzahl der studienbegleitenden Promotionen in der Medizin, die immerhin circa ein Viertel aller abgeschlossenen Promotionen ausmachen, würde die Kriterien wohl nicht erfüllen.

Unser Bildungssystem braucht Raum für Entfaltung und fortschrittliche Hochschulpolitiker wie Hessens Wissenschaftsminister Boris Rhein, die alte Privilegien infrage stellen dürfen, ohne dass dies gleich als Angriff auf das „Herz der Wissenschaft“ gewertet wird. Überanstrengung und Angriffe von außen mögen Auslöser für einen Infarkt sein. Die wahren Ursachen sind eher Verkalkung und mangelnde Bewegung.

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