„Die Ressourcen für ältere Menschen klug einsetzen“

21.11.2017

Bald wird nicht nur jede vierte Person älter als 60 sein. Die Gruppe der Senioren wird auch vielfältiger. Worauf wir uns einstellen müssen, erläutert Prof. Dr. Susanne Kümpers.

Frau Prof. Kümpers, wie wird die künftige ältere Generation aussehen?
Wir werden es mit mehr Diversität und Heterogenität der älteren Menschen zu tun haben. Zum ersten Mal gibt es etwa eine Rentner-Generation, in der auch Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationshintergrund und auch Schwulen und Lesben, die ihre sexuelle Orientierung offen gelebt haben, sichtbar werden. Eine Frage wird sein, was etwa Pflegekräfte zusätzlich wissen sollten, wenn sie es mit diesen unterschiedlichen Gruppen zu tun haben – in sozialer, medizinischer und auch kommunikativer Hinsicht.

Was müssen Kommunen bedenken, wenn es um Angebote für diese Gruppen geht?
Nicht jeder kann in eine Großstadt ziehen, wo es mehr Spezialangebote geben kann. Das heißt: Angebote für Ältere müssen sich künftig stärker mit dieser Diversität auseinandersetzen. Vor allem ist Arbeit in den Stadtteilen gefordert. Denn je mehr ältere Bürgerinnen und Bürger in ihrer Mobilität eingeschränkt sind, desto mehr beziehen sie sich auf ihre Nachbarschaft und sind  auf sie angewiesen.

Vor welchen Schwierigkeiten stehen die Kommunen hier?
Die Frage stellt sich, was Kommunen tun können, damit sich die Nachbarschaft gut entwickelt. Wie weit kann Nachbarschaftshilfe gehen und welche Leistungen muss die öffentliche Hand übernehmen? Die Kommunen sollten besonders vulnerable Gruppen im Blick haben. Vor den größten Herausforderungen stehen sie in den peripheren Regionen, wo die Infrastruktur abgebaut wird, die Jüngeren wegen fehlender Berufsperspektiven wegziehen und die Älteren ihre Häuser nicht mehr gut verkaufen können.

Wie kann Abhilfe geschaffen werden?
Wir haben in der Kommission zum Siebten Altenbericht empfohlen, die sogenannte „Daseinsvorsorge“ als Gemeinschaftsaufgabe einer solidarischen Gesellschaft zu etablieren – besonders hinsichtlich der schnell alternden Regionen. Wir würden uns wünschen, dass die neue Bundesregierung das aufnimmt. Auch wenn Bürgerinnen und Bürger vielerorts einspringen, muss die Letztverantwortung beim Staat bleiben. Freiwilliges Engagement lässt sich nicht verordnen. Wir wissen: Engagement gedeiht dort am besten, wo es systematisch und nachhaltig, das heißt kontinuierlich unterstützt wird. Die Stadt Heidelberg hat zum Beispiel in jedem Stadtteil ein Zentrum für Senioren, um Nachbarschafts-Initiativen zu unterstützen.

Familiäre Netzwerke werden nicht mehr so belastbar sein wie früher. Viele Babyboomer haben keine Kinder – oder die Kinder wohnen weit weg.
Tatsächlich haben die heutigen und künftigen Älteren größere freundschaftliche Netzwerke außerhalb der Familie. Meistens gehört die eigentliche Pflege aber nicht zur nachbarschaftlichen Unterstützung. Die direkte Pflege wird meist entweder von der Familie oder von professionellen Pflegekräften geleistet.

Werden sich die Babyboomer öfter selbst organisieren, etwa in Senioren-WGs?
Bislang ist das nur für einen kleinen Teil der Älteren attraktiv. Wer etwa eine gute Rente und Zugang zu einer großen Wohnung hat, kann sich das mit Anderen gemeinsam organisieren. Menschen, die beispielsweise in ihrer Jugend in WGs gewohnt haben, trauen sich das auch eher zu. Ich könnte mir aber vorstellen, dass solche Ideen Schule machen, wenn Gemeinden anfangen, gemeinschaftliche Wohnmöglichkeiten auch für Menschen mit niedrigen Renten zu unterstützen.

Wird es den künftigen Rentnern finanziell besser oder schlechter gehen?
Insgesamt wird die Höhe der Rente im Vergleich zu früher erzielten Einkommen geringer werden, wie gering, darüber wird politisch entschieden. Die Riester-Rente erreicht nicht die, die es am nötigsten hätten. Die Prognosen zur steigenden Altersarmut, die wir im Siebten Altenbericht zusammengefasst haben, werden kontrovers diskutiert. Die meisten Rentenforscher sind sich einig, dass die Altersarmut zunehmen wird. Für die Politik ist dies ein unangenehmes Thema und wird gerne ignoriert. Der Anteil älterer Menschen, die etwa die Grundsicherung in Anspruch nehmen, ist bisher beispielsweise relativ niedrig; es gibt aber Schätzungen, dass bis zu 60% der Berechtigten sie gar nicht erst beantragen. Manche ältere Menschen sind schlecht informiert; einige befürchten, dass ihre Kinder belangt werden, auch wenn das aufgrund des recht hohen Freibetrags gar nicht der Fall wäre. Auch Scham spielt oft eine Rolle, wenn die Grundsicherung nicht beantragt wird.

Welchen Einfluss haben die Kommunen, um diese Entwicklungen abzumildern?
Kommunen können nicht an den großen Stellschrauben der Steuer- oder Rentenpolitik drehen. Da die Grundsicherung in den Kommunen beantragt wird, könnten diese gezielt informieren. Trotz begrenzter politischer Spielräume kann Kommunalpolitik hier etwas bewirken, wie wir mit einer Studie vor Jahren zeigen konnten. Zwischen einem früheren Arbeiterbezirk in Westberlin und einem Wohngebiet mit Plattenbauten in Ostberlin, beides keine wohlhabenden Gebiete, sind uns große Unterschiede aufgefallen. In dem untersuchten Wohngebiet in Ostberlin war man an Alterspolitik interessiert, hat Vernetzungen unter den Akteuren gefördert und viel dafür getan, dass Bewohnerinnen und Bewohner wissen, welche Angebote und welche Unterstützung es gibt. Im Endeffekt waren die vorhandenen Ressourcen für arme ältere Menschen hier leichter zugänglich als in dem untersuchten Viertel in Westberlin.

Zur Person
Prof. Dr. Susanne Kümpers lehrt Qualitative Gesundheitsforschung, soziale Ungleichheit und Public Health-Strategien an der Hochschule Fulda. Sie ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Publik Health (DGPH) und in der Sektion IV, Altenhilfe und Soziale Gerontologie der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG). Von 2012 bis 2015 war sie Mitglied der Altenberichtskommission der Bundesregierung zum Thema „Sorge und Mitverantwortung in der Kommune. Aufbau und Sicherung zukunftsfähiger Gemeinschaften.“

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