Was haben Rugby-Spieler und gute Teams in Unternehmen gemeinsam? Sie stehen eng in einem „geordneten“ Haufen zusammen und wissen von selbst, wie sie sich koordinieren müssen. „Scrum“ heißt ein solch selbstorganisiertes „Gedränge“ und meint einen speziellen Rugby-Spielzug. Auf Scrum-Teams schwören aber auch viele Unternehmen. Wo ihre Chancen und Stolpersteine liegen, hat die Fuldaer Wirtschaftsinformatikerin Sara Auth in einem internationalen Softwareentwicklungsunternehmen untersucht. Für ihre Bachelor-Arbeit über Konfliktmanagement und Lösungen für Scrum-Teams im Fachbereich Angewandte Informatik an der Hochschule Fulda wurde sie von der Deutschen Gesellschaft für Projektmanagement (DGP)ausgezeichnet.
Dynamsiche Anpassung an Kundenwünsche
„Die Scrum-Methode setzt auf agiles und dynamisches Arbeiten des Entwicklungsteams“, erläutert Sara Auth. Anders läuft es im konventionellen Projektmanagement: Hier gibt es strikt getrennte Projektphasen: Zuerst werden die Wünsche der Kunden erfasst, dann der Produktentwurf gemacht, um schließlich mit der Entwicklung zu beginnen und relativ spät kurz vor Auslieferung das Produkt zu testen und dem Kunden vorzulegen.
Scrum Teams hingegen präsentieren in viel kürzeren Abständen mehrere Teilergebnisse. Nach einem etwa zweiwöchigen „Sprint“ bekommt der Kunde regelmäßig ein Zwischenresultat zu sehen, damit er in jeder Phase Einfluss nehmen kann. „Bei der konventionellen Methode gibt es kaum eine Möglichkeit, zu einem Teilschritt zurückzuspringen“, erläutert Sara Auth. Will meinen: Die Karawane zieht ständig weiter und am Ende kann ein Produkt herauskommen, mit dem der Kunde wenig anfangen kann. „Mit Scrum ist hingegen eine dynamische Anpassung der Kundenwünsche möglich, die ja oft im Laufe des Projektfortschritts erst auftreten“, erklärt Auth.
Puzzle statt vorgegebene Skizze
Das Team arbeitet also eher an einem „Puzzle“ und nicht an einer vorgegebenen Skizze. Am Anfang steht zwar die Vorstellung eines Bildes, was es werden soll, aber dann wird Stück für Stück bearbeitet. Ein Puzzle-Teil lässt sich leicht wieder korrigieren – ohne immense Kosten. „Das Ganze schafft auch eine Qualitäts- und Kostentransparenz“, nennt Auth Vorteile. In manchen Branchen sei Scrum jedoch nicht geeignet: „Nach der Fertigstellung des Rohbaus in der Baubranche kann man nicht sagen: Ich möchte jetzt aber 40 Quadratmeter mehr“, schränkt sie ein.
Die Scrum-Methode ist anspruchsvoll. Ihr liegt eine besondere Philosophie zugrunde: „Die Teams organisieren sich selbst. Sie entscheiden, wann und wie und mit welcher Priorität sie ihre Arbeit erledigen“, erläutert Sara Auth. „Empowerment“ wird diese Verantwortung und Selbstbestimmung genannt – als Gegenkonzept des Gefühls von Machtlosigkeit. Der Begriff stammt eigentlich aus den Sozialwissenschaften und bezieht sich auf Mündigkeit und den Abbau von Hierarchien. Solche Arbeitsteams entwickeln ihre Schlagkräftigkeit ohne Steuerung von außen – praktisch und kostensparend auch im Sinne von verschlankten Organisationen.
Konfliktpotenziale
Bei einer Online-Befragung, an der 208 Scrum-Mitarbeiter des Softwareentwicklers teilnahmen, und bei 20 persönlichen Interviews fand Auth heraus, dass die große Mehrheit zwar voll und ganz hinter „Scrum“ steht und gern so arbeitet. Jedoch fehlte es zum Teil an Verständnis beim oberen Management, wie bemängelt wurde. 41,20 Prozent antworteten, dass Unterstützung eher von der unteren Ebene des Managements käme. 11,80 Prozent antworteten, dass sie keine Unterstützung vom Management bekommen. Ein Befragter kritisierte im Einzelinterview: „Das Management unterstützt Empowerment nicht von sich aus, man muss es einfordern. Das Problem ist die Kommunikation zwischen Team und Management, Abstimmungen finden ohne das Team statt.“
Hier kann der Fehler im System liegen: Die Empowerment-Philosophie sollte sich durch alle Ebenen der Organisation ziehen und nicht nur durch Teilbereiche: „Dieser Fehler wird gern bei der Einführung von Scrum gemacht, analysiert Auth: Teils versuche das Management mit dem gängigen Kommando-Kontrolle-Schema Druck auf das Team auszuüben und untergrabe so seine Autonomie, schildert sie. „Die Basis für Scrum ist die Selbstorganisation, eine gute Kommunikation, Vertrauen, Mut, Offenheit und Fehlerakzeptanz. Eine Atmosphäre ist wichtig, in der man keine Angst haben muss, für Fehler oder Kritik zur Verantwortung gezogen werden“, erläutert Auth.
Karriere-Risiko: Scrum Master?
Der Wirtschaftsinformatikerin ist auch aufgefallen, dass wichtige Rollen im Scrum-Team teilweise nicht so ausgefüllt werden, wie sie sollten. Gemeint sind zwei wichtige Rollen: der „Scrum-Master“ und der „Product Owner“ (Produktverantwortlicher), die aber keine disziplinarische Macht haben.
Der Scrum-Master soll das Team von innen motivieren und ihm Steine aus dem Weg räumen. Das Problem in der Praxis:Oft wird seine Funktion eher unterbewertet und er wird eher zum Organisator der täglichen Team-Meetings degradiert. Außerdem ist er, wie Auth feststellte, oft noch zur Hälfte als Entwickler tätig, was dazu führen kann, dass er seine Rolle als Coach und Mentor nicht voll und ganz einnimmt. Ein guter Scrum-Master macht sich zudem mit der Zeit überflüssig, weil das Team sehr gut von allein funktioniert. Wer aber entbehrlich ist, kann schnell in einer Karriere-Sackgasse landen. „Die Rolle sollte aufgewertet werden und der Scrum-Master eine Coaching-Ausbildung erhalten, so dass ein möglicher Karrierepfad ins Management führen kann“, schlägt Auth vor.
Wenn das Management hineinregiert
Auch die zweite wichtige Rolle des Product Owners kann konterkariert werden. Er sollte das Bindeglied zum Kunden sein und die Verantwortung für das Produkt übernehmen. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Pflege und Aktualisierung der Anforderungen des Kunden in einer Liste (Backlog), die er auch priorisiert. Im Prinzip entscheidet er auch über die Kosten und den Zeitpunkt der Auslieferung der einzelnen Softwareversionen. Er nimmt auch jede Teilversion, jeden Sprint des Teams ab. „Zu Konflikten kann es allerdings kommen, wenn der Produktverantwortliche vom Management sich hineinreden lässt und so unfreiwillig zum Teamleiter wird“, fand Auth anhand ihrer Daten heraus. So gaben bei der Online-Umfrage 41, 30 % der befragten Product Owner an, dass sie sich mit dem Management abstimmen und über 10 %, dass alle Entscheidungen vom Management ausgehen. „Probleme entstehen, wenn die Vorgesetzen nach den Prinzipien einer Kontrollorganisation handeln“, meint Auth. Ein Gegengewicht könnte hier der Scrum-Master sein, um das Team vor solchen Einflüssen schützen. Wenn er jedoch seine Rolle nicht spielen kann und darf, laufen solche Anstrengungen ins Leere.
Team Sprints und Selbstverantwortung
Das dritte Element in dieser Konstellation ist das „empowerte“ Team, das sich für seine Arbeit voll verantwortlich fühlen soll. Es verpflichtet sich, die vereinbarten Anforderungen in den jeweiligen Sprints umzusetzen und das Sprintziel zu erreichen. Scrum-Teams funktionieren allerdings nicht, wenn den Mitgliedern die Motivation und die Eigenverantwortung fehlen. Stimmen jedoch die Voraussetzungen, seien solche Teams extrem leistungsfähig und bestrebt, sich zu verbessern. „Wer sich in seiner Arbeit entfalten kann, bringt auch die bessere Leistung“, meint Auth.
Innerhalb des Teams gibt es jedoch auch Kommunikationsbarrieren, wenn Mitglieder räumlich getrennt sind und die enge Abstimmung nicht mehr möglich ist. Erst recht schwierig wird es, wenn interkulturelle Hürden, Verständnisschwierigkeiten und Zeitzonen überwunden werden müssen, weil man häufig über Kontinente hinweg zusammenarbeitet. Das Arbeiten mit Teams an verschiedenen Standorten ist jedoch die Realität in vielen Unternehmen. Hier könnten die Etablierung von mehreren Scrum Mastern in den Teams und der Einsatz von Kommunikationstechniken wie Videokonferenzen und intelligente Teamkommunikations-Tools sinnvoll sein, schlägt Auth vor.
Die Eignung prüfen
„Unternehmensführungen sollten sich genau überlegen, ob und wie sie Scrum etablieren möchten“, betont die Wirtschaftsinformatikerin. Nicht jedes Unternehmen oder jedes Team sei hierfür geeignet. Lernen könnte jedoch jedes Team von der engen Abstimmung im koordinierten Haufen, etwa in den täglichen Meetings, die Fehlentwicklungen rechtzeitig erkennen lassen. „Wenn die Scrum-Methode gut eingeführt wird, werden Teamkonflikte reduziert und die Zusammenarbeit verbessert. Dagegen kann sich eine Kommando-Kontroll-Organisation nicht schnell und flexibel genug an die sich immer schneller veränderte Wettbewerbssituation und Kundenerwartungen anpassen“, sagt Auth. Empowerment schaffe zudem Arbeitsbedingungen, in denen sich die Mitarbeiter entfalten können. „Auf diese Wiese werden die Management-Talente von morgen entdeckt“, resümiert sie.