Forschung für mehr Lebensqualität im Alter

02.06.2016
Die Initiatorinnen der Tagung: v.l. Prof. Dr. Claudia Kreipl, Prof. Dr. Martina Ritter, Prof. Dr. Monika Alisch, Prof. Dr. Stephanie Hagspihl

An der Hochschule Fulda wird in einer Vielzahl von Projekten interdisziplinär zum Thema Alternde Gesellschaft geforscht. Auf einer Tagung Anfang Juni präsentierten sie sich.

Möglichst lange im Alter selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben - wie kann dies gelingen? Denn eine wachsende Anzahl älter werdender Menschen braucht Hilfe. Angesichts des demografischen Wandels sind Konzepte gefordert, die eine hohe Lebensqualität ermöglichen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschule Fulda arbeiten interdisziplinär in einer Vielfalt an Projekten zum Thema „Alternde Gesellschaft“. Die Projekte betreffen Bereiche wie Wohnen und Organisation des Alltags, Gesundheitsversorgung und Pflege sowie Arbeit und Wirtschaft, die das Entwickeln neuer Märkte berücksichtigen. In enger Kooperation mit den Akteuren in der Region Fulda werden hier innovative und praxisnahe Modelle für ganz Deutschland entwickelt. Eine Vielfalt dieser Projekte wurde jetzt auf einer Tagung präsentiert (siehe Kasten).

Zwei Forschungsprojekte an der Hochschule Fulda zeigen exemplarisch, wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Gesellschaft mit wichtigen Themen voranbringen - lebendig und praxisnah: ein Bürgerhilfevereine-Modell für die ältere Generation (Projekt BUSLAR) und ein finanzierbares Dienstleistungskonzept, das den Essalltag verbessert, eine Online-Liefer-Plattform für die Region (Projekt Culinaryandhealth@home – Genuss, Gesundheit, Arbeit und Märkte in der Alterskultur, kurz: GGAMA). Das Projekt GGAMA wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert.

Der Hintergrund: Für ältere Menschen wird die Organisation des Alltags nicht einfacher. Kochen, Einkaufen, Arztbesuche, das Pflegen sozialer Kontakte werden bei eingeschränkter Mobilität zunehmend schwieriger. Es gibt zwar Angebote, aber die müssen zeitgemäß an die sich verändernden Bedingungen in der Gesellschaft angepasst werden, damit sie die Lebensqualität verbessern und auch angenommen werden.

Bürgerhilfevereine und ihre Dienstleistungen

Beispiel Ehrenamtliche Bürgerhilfevereine: Ihnen wird in der Region Fulda nicht gerade die Tür eingerannt, jedenfalls noch nicht, wie Forscherinnen im Fachbereich Sozialwesen herausgefunden haben. „Viele älteren Menschen scheuen sich davor, von außen Hilfe anzunehmen. Manche denken sich: Ich habe doch drei Kinder und fünf Enkel, die können das für mich erledigen – auch wenn sie 50 Kilometer entfernt wohnen“, erläutert Prof. Dr. habil. Monika Alisch, Professorin für Gemeinwesen- und Sozialraumarbeit, Sozialraumentwicklung und -organisaton. Die Sozialwissenschaftlerin erforscht zusammen mit ihrer Kollegin Prof. Dr. habil. Martina Ritter die Strukturen und Reichweite solcher Vereine im Landkreis Fulda.

Potenzial sieht sie in Begegnungsorten für ältere Menschen und Ehrenamtliche – wie etwa das Waffelcafé des Vereins Füreinander-Miteinander in Großenlüder. „Solche Räume können die Voraussetzung dafür sein, dass Menschen sich trauen, nach Hilfe zu fragen“, meint Alisch. Ältere Menschen kommen unverbindlich zum Kaffeeklatsch zusammen. Es kann sich mit der Zeit vertrauensvoll im Gespräch ergeben, dass etwa die Hilfe beim Rasenmähen oder Schneeschippen benötigt wird.

Tatsächlich wird noch ein großer Teil der Unterstützung und Fürsorge von der Familie geleistet, betont Monika Alisch. Oft zahlen Frauen den Preis dafür, weil sie ihre Verdienstmöglichkeiten einschränken und nur eine kleine Rente bekommen, gibt sie zu bedenken. „Bürgerhilfevereine leisten eine wichtige Arbeit für die Gemeinschaft. Wir denken darüber nach, wie sie sich weiterentwickeln können.“

Wie kann der Alltag rund um das Essen verbessert werden?

Beispiel „Essen auf Rädern“: Dieses Angebot findet kaum Abnehmer. Nur drei Prozent der Generation 65plus in der Region lassen liefern, weiß man aus der GEViA-Studie, einer Langzeituntersuchung in Stadt und Landkreis Fulda unter der Leitung der Ernährungssoziologin Prof. Dr. Jana Rückert-John, an der 700 Menschen zwischen 65 bis 98 Jahren beteiligt sind.

„Essen auf Rädern hat kein gutes Image“, begründet Prof. Dr. Claudia Kreipl aus dem Fachbereich Wirtschaft. Die Logistik ist schwierig – alle möchten um die Mittagszeit eine warme Mahlzeit, das klappt nicht immer. Oft wird nur Tiefkühlkost aus den Großküchen angeboten, die aufgewärmt wird.
Für älter werdende Menschen ist jedoch die Versorgung mit gesundem, frischem und nährstoffreichem Essen besonders wichtig, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Catherina Jansen, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „CulinaryandHealth@Home - Genuss, Gesundheit, Arbeit und Märkte in der Alterskultur“, das von der Oecotrophologin Prof. Dr. Stephanie Hagspihl geleitet wird. Die GEViA-Studie verdeutlicht, dass Selbstständigkeit bei der Gestaltung des Essalltages eine große Rolle spielt. „Das Image von Essen auf Rädern ist auch deshalb nicht gut, weil es ein Bild von Hilflosigkeit vermittelt. So möchten ältere Menschen aber nicht gesehen werden“, erläutert Jansen.

Innovative Online -Plattform für Anbieter der regionalen Wirtschaft

Aus der wirtschaftlichen Perspektive sei das Essen auf Rädern für die Anbieter – in der Region Fulda sind dies Sozialdienste – eher ein defizitäres Geschäft, sagt Ökonomin Kreipl. „Wirtschaftlich rechnen würde es sich, wenn man eine größere Gruppe, möglicherweise auch andere, jüngere Zielgruppen erreichen könnte – das ist schwierig für die Sozialdienste“, erklärt sie. Doch dazu müssen die Angebote attraktiv, lecker und frisch sein, das Preis-Leistungsverhältnis muss stimmen und auch die Vertriebswege müssen effizienter werden.

Eine an der Hochschule Fulda entwickelte innovative digitale Ernährungs- und Einkaufsassistenz gibt Empfehlungen, wie man sich am besten ernährt – vor allem ältere Menschen, die bestimmte Medikamente einnehmen, brauchen hier Tipps, etwa bei Diabetes, Osteoporose, Gicht und anderen ernährungsbedingten Krankheiten. „Es geht nicht nur darum, dass eine fertige, warme Mahlzeit an die Haustür gebracht wird, sondern die Menschen sollten so viel wie möglich noch selber kochen und mit Nahrungsmitteln beliefert werden“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin Jansen
Expertinnen und Experten aus der Oecotrophologie, den Wirtschaftswissenschaften und der Informatik arbeiten gemeinsam an einem Konzept, ganz weg vom „Essen auf Rädern“ hin zu einem Lieferservice mit lokalem Angebot von Gastronomen, dem Supermarkt, Einzelhandel oder Metzgereien, die ältere Menschen über eine Online-Plattform bestellen können. Geplant wird ein Pilotprojekt mit Haushalten in den Rhön-Gemeinden Gersfeld und Ebersburg. „Wir haben die Bürgermeister mit im Boot“, freut sich Jansen. In Zusammenarbeit mit dem Fachbereich „Angewandte Informatik“ wird nun eine solche Online-Plattform entwickelt, die über eine bedienerfreundliche digitale Oberfläche angeklickt werden kann. „Den älteren Menschen, die ja auch Elektroherde und Waschmaschinen betätigen, kann das erklärt werden“, meint Kreipl. Für die heute 80-jährigen ist die Bedienung eines PCs meist fremd, nicht aber für jene, die in zehn Jahren zu der 80plus-Generation gehören.

Wie sollen die Strukturen sein?

Monika Alisch fragt danach, ob Bürgerhilfevereine neue Wege gehen sollen. Eine alternative Organisationsform könnte etwa eine Genossenschaft sein: „Man investiert etwas, bekommt aber auch etwas zurück.“ Möglicherweise steigt so auch die Bereitschaft, Dienste anzunehmen. Eine Genossenschaft wäre auch verbindlicher, da Vereine an ihre Grenzen stoßen, sobald rührige Mitglieder ausscheiden. Probleme entstehen auch, wenn finanzschwache Kommunen die Daseinsvorsorge für ältere Menschen ganz an das Ehrenamt delegieren, das aber strukturell keine Kontinuität garantieren kann.
Strukturelle Fragen stellt man sich auch bei der Online-Plattform für Ernährung und Einkaufen: Wer soll zuständig sein? Wer liefert? Die Privatwirtschaft, die Kommunen, das Ehrenamt - oder eine Kombination daraus? Dies wird sich in der Diskussion mit allen Beteiligten in der Region zeigen.
Die Forscherinnen und Forscher, die im Bereich „Alternde Gesellschaft“ arbeiten, loben die Kooperation und Unterstützung im Landkreis Fulda, des Seniorenbüros, der Bürgerhilfevereine und anderer Institutionen: Sie öffnen der Wissenschaft und Forschung an der Hochschule FuldaTüren – für eine bessere Zukunft.

Fachtagung „Forschung für die alternde Gesellschaft“
An der Hochschule Fulda gibt es eine Vielfalt von Forschungsprojekten aus unterschiedlichen Disziplinen, die für eine höhere Lebensqualität im Alter entwickelt werden. Auf der Fachtagung „Forschen für die alternde Gesellschaft“ wurden nun zahlreiche Projekte präsentiert, Expertise gebündelt und fachübergreifend diskutiert. Interessierte aus Wissenschaft und Praxis sowie aus Politik und Wirtschaft kamen, um über die neuen Impulse für die Gesellschaft zu diskutieren.
Die Referentinnen und Referenten kamen aus den Fachbereichen Oecotrophologie, Lebensmitteltechnologie, Sozialwesen, Wirtschaftswissenschaften, Informatik sowie Pflege und Gesundheit.
Die Projekte wurden auf der Tagung unter vier verschiedenen Punkten mit folgenden Themengebieten präsentiert:
Gesundheit, Pflege und Altern(n):
Gewalt in der Pflege; Roboter in der Pflege von Personen mit Demenz; ehrenamtliche Demenzbegleitung.
Alltagsorganisation und Altern:
(Culinary and Health@Home – Gesundheit Genuss, Arbeit und Märkte in der Alterskultur; Seniorengerechte Lebensmittel; das Projekt M-House – Management im privaten Haushalt)
Teilhabe, Raum und Alter(n):
(Age4Health – gesunde Stadtteile für Ältere; BUSLAR Bürgerhilfevereine als Partner der Daseinsvorsorge; Dorfhaus als multifunktionale Begegnungsstätte)
Arbeit, Wirtschaft und Altern(n): (Erhöhung der Frauenerwerbsquote – Wunsch oder Wirklichkeit? Zukunftsfähige Lebensmittelversorgungskonzepte für Senioren; der Arbeitsmarkt als künftige Armutsfalle? Chancen und Grenzen regionaler Altersarmut und Indikatoren.

Die Tagung wurde organisiert von dem an der Hochschule Fulda angesiedelten Zentrum Gesellschaft und Nachhaltigkeit (CeSSt) unter der Leitung von Prof. Dr. habil. Monika Alisch (Soziologie, Sozialraumentwicklung, Organisation; Fachbereich Sozialwesen) und Prof. Dr. habil. Martina Ritter (Soziologie, Gender und soziales Management, Fachbereich Sozialwesen) sowie vom Zentrum für Catering, Management und Kulinaristik (ZCMK) unter der Leitung von Prof. Dr. Stephanie Hagspihl (Catering und Food Supply, Fachbereich Oecotrophologie)und Prof. Dr. Claudia Kreipl (Unternehmensführung, insbesondere IT-gestützte Entscheidungsfindung, Fachbereich Wirtschaft). 

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Übersicht der einzelnen Forschungsprojekte

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