Pflege ist einer der wunderbarsten Berufe, sagt Bastian Ringel. Dabei liebäugelte der studierte Pflegewissenschaftler nach dem Abi zunächst mit einem Studium der Wirtschaft oder des Wirtschaftsrechts. Doch dann entschied er sich, ein Jahr Zivildienst zu absolvieren. Das veränderte alles. Welche Perspektiven ein Pflegestudium bieten kann, verrät der Absolvent des Fachbereichs Pflege und Gesundheit im Interview.
Herr Ringel, wenn Sie von Ihrem Beruf erzählen, dann ist da eine Menge Begeisterung zu spüren. Man merkt sofort, dass Sie genau an der richtigen Stelle sind. Was fasziniert Sie an diesem Beruf?
Nach dem Abi lag mein Fokus auf Wirtschaft oder Wirtschaftsrecht. Dann habe ich mich entschieden, erst einmal Zivildienst zu machen. Ich brauchte noch etwas Zeit, um herauszufinden, welcher Beruf zu mir passt. Sehr schnell hatte ich dann die Erkenntnis, dass der soziale Bereich meinem Charakter entspricht. Ich wusste, das will ich machen.
Nach dem Zivildienst habe ich dann ein Jahr als Pflegehelfer gearbeitet, anschließend Pflege an der Hochschule Fulda studiert und mein Examen als Gesundheits- und Krankenpfleger gemacht. Damals hatte ich noch keine konkreteren Vorstellungen. Mir war nur klar, dass der Pflegeberuf extrem vielfältig ist und es viele unterschiedliche Richtungen gibt, die man einschlagen kann. Natürlich war ich mir der pflegerischen Verantwortung bewusst, aber wo ich persönlich in diesem Bereich mein Steckenpferd finden würde, davon hatte ich noch keine Ahnung.
Sie haben Pflege studiert. Was waren Ihre Beweggründe dafür?
Mich hat interessiert, warum Sachen nicht so laufen, wie sie laufen sollen oder warum Rahmenbedingungen so sind, wie sie sind. Diese Fragen habe ich mir während meiner praktischen Tätigkeit gestellt, aber keine zufriedenstellende Antwort darauf gefunden. Dazu braucht man Fachwissen. Diese Reflexion war erst während des Studiums möglich.
Ich hatte das Gefühl, der Pflegebereich ist für mich richtig, aber unter der Bedingung, dass ich verstehe, warum etwas so ist, wie es ist, warum ich eine pflegerische Handlung so mache und nicht anders. Dazu ist für mich eine fachliche Auseinandersetzung auf wissenschaftlichem Niveau unabdingbar.
Detailliertere Vorstellungen von dem Beruf habe ich erst während meines Studiums entwickelt. Dann tut sich das gesamte Spektrum der pflegerischen Arbeit auf: im psychiatrischen Bereich, in Zentren der Versorgung oder in der Begleitung von Menschen mit Behinderung, in der Begleitung von Jugendlichen, Kindern und älteren Menschen. Man kann im Projektmanagement tätig sein, neue Konzepte implementieren, in Tageszentren oder ambulanten Pflegestützpunkten Aufbauarbeit leisten, ja sogar Unternehmen beraten oder aber auf einem Kreuzfahrtschiff die Versorgung der Passagiere sicherstellen. Man kann auch als Study Nurse in der Begleitung wissenschaftlicher Projekte in Kliniken arbeiten, ein Aufbaustudium machen, promovieren oder in die Lehre gehen.
Es gibt eine extreme Vielfalt an Bereichen und an Schwerpunkten, die man wählen und in denen man sich qualitativ hochwertig fortbilden kann. Ich bin zum Beispiel Wundexperte und habe diverse Fortbildungen im Qualitätsmanagement oder der emotionsorientierten Kommunikation absolviert.
Heute arbeiten Sie im geriatrischen Bereich, in einem Lebenszentrum für Menschen mit Demenz. War es Ihr Ziel, in die Altenpflege zu gehen?
Ich habe meinen Zivildienst und die Zeit als Pflegehelfer, also als angelernte Pflegekraft mit physisch und kognitiv beeinträchtigten Menschen verbracht. Ehrlich gesagt, war für mich die Altenpflege nie en vogue. Erst in der letzten Zeit meines Studiums habe ich Blut geleckt und auch erkannt, welche Entfaltungsmöglichkeit und welche Selbstbestimmung man als Pflegekraft in der Altenpflege hat. Es war einer meiner Dozenten, der mich auf diese Spur gebracht hat. Das Pflegestudium hat uns eine sehr enge Bindung zu den Dozenten ermöglicht durch relativ kleine Kurse. Das hat meinen Werdegang geprägt. Ich sehe viele Chancen durch ein Studium in einem kleineren Umfeld mit weniger Studierenden und sehr persönlichem Kontakt. Was mich an dem geriatrischen Bereich reizt, ist, jemanden länger zu begleiten, Veränderung und Entwicklung der Bewohner zu sehen. Beziehungsgestaltung ist nur über einen längeren Zeitraum möglich. Natürlich sind wir auch dem Alltag unterworfen, aber wir haben ein größeres Wirkungsspektrum als in der Akutversorgung.
Sie sagen, der Pflegeberuf bietet enorme Gestaltungsspielräume. Inwieweit gestalten Sie persönlich Ihr Arbeitsfeld mit?
Nach meinem Studium und dem Examen als Gesundheits- und Krankenpfleger habe ich als Primary Nurse gearbeitet, ein Konzept, das sich gerade an akademisch ausgebildete Fachkräfte richtet. Diese Personen sind im Pflegeprozessmanagement tätig, gestalten pflegerische Abläufe, haben die inhaltliche Verantwortung, und sie kreieren Ideen, um eine bestmögliche pflegerische Versorgung zu gewährleisten. Ein paar Monate später habe ich dann auch die Funktion der Wohnbereichsleitung übernommen, die hauptsächlich für die personelle Ausgestaltung verantwortlich ist. Wieder einige Monate später kam die Funktion der stellvertretenden Pflegedienstleitung hinzu.
Ich habe diese Positionen im Rahmen der Stellenprofile inhaltlich selber ausgestaltet. Ich hatte die Möglichkeit, meine Stelle zu entwickeln und zu zeigen, dass es so funktionieren kann, wie ich es mir vorgestellt habe. Diese Entfaltungsmöglichkeiten sind eine große Chance. Letzten Endes ist man seines Glückes Schmied. Es kommt auf einen selber an, was man daraus macht. Ich bin der Überzeugung, dass das für alle, die prägen und mitgestalten wollen, genau das Richtige ist.
Auch im Krankenhaus habe ich erfahren, dass es zum Beispiel im Bereich der Behandlungspflege einen großen Gestaltungs- und Handlungsspielraum gibt. Der springende Punkt ist: Man muss es wollen, man muss sich engagieren, nur mit einer Fortbildung schafft man es nicht, man muss sich tatsächlich mit der jeweiligen Thematik beschäftigen und überzeugen können.
Inzwischen sind Sie Pflegedienstleiter und stellvertretender Einrichtungsleiter. Wie sieht denn ein klassischer Tagesablauf bei Ihnen aus?
Ich bin verantwortlich für den gesamten Pflegebereich in der Einrichtung, für die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Mitarbeiterförderung und -akquise, das Personal- und Materialmanagement. Auch Schicksale und Notfälle gehören dazu.
Ein Beispiel von heute: Wir haben eine digitale Pflegeprozessdarstellung, das heißt, wir dokumentieren unsere Arbeit über den PC, und plötzlich fällt das Programm aus. Da muss man schnell reagieren und Prioritäten setzen, denn wir müssen unsere Arbeit transparent machen. Wenn etwa jemand ins Krankenhaus eingewiesen wird, müssen wir einen Verlegungsbericht ausdrucken. Heute hat der Zwischenfall zwei bis drei Stunden von meinem eigentlich geplanten Tag in Anspruch genommen.
Bleibt bei einem solch umfassenden Aufgabenspektrum noch Zeit für den Kontakt zu den Bewohnerinnen und Bewohnern?
Wenn es wirklich „brennt“, gehe ich auch in die direkte Pflege. Der Kontakt ist mir wichtig, da bekomme ich die direkte Rückmeldung, ob ich etwas richtig mache oder falsch. Neulich habe ich ein paar Nachtdienste gemacht und mich sehr gut dabei gefühlt. Es hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich mir gesagt habe, das wäre auch wieder was, in die „direkte“ Versorgung zu gehen. Solche Situationen nutze ich auch, um die Bewohnerinnen und Bewohner kennenzulernen und wahrzunehmen, wie es in den Bereichen läuft. Wie fühlen sich die Bewohner? Wie geht es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Wie kann ich strategisch beratend tätig sein, beispielsweise wenn Zeitmangel beklagt wird? Dann kann ich die Sache kreativ angehen und sehen, welche Optionen wir haben, um die Situation zu verbessern. Es gibt immer Möglichkeiten, etwa durch eine angepasste Priorisierung.
Was Sie da beschreiben, klingt sehr abwechslungsreich, aber auch nach Stress.
Es ist stets eine Herausforderung. Man hat jeden Tag die Chance, über sich hinauszuwachsen. Es macht mir Spaß, und daraus ziehe ich meine Energie. Manchmal ist es allerdings auch ganz schön, wenn alles mehr oder weniger nach Plan läuft. Seit ich hier bin, habe ich noch nie das Gefühl der Langeweile gehabt. Ganz im Gegenteil: Manchmal wünscht man sich Tage, an denen es einfach ein bisschen langweilig ist.
In den Medien sind immer wieder Negativschlagzeilen über den Pflegebereich zu finden. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie solche Berichte lesen?
Grundsätzlich: Ich finde es wichtig, dass die Gesellschaft über Missstände in der Pflege informiert wird, sofern es sich dabei um eine seriöse Berichterstattung handelt. Wo Fehler gemacht werden, müssen sie benannt und handelnde Personen, Einrichtungen und Träger zur Rechenschaft gezogen werden. Aber solche Negativgeschichten dürfen nicht auf den gesamten pflegerischen Bereich übertragen werden. Sie dürfen nicht alles überschatten. Ich finde es nicht richtig, dass sich der Blick oftmals nur auf Personen, Einrichtungen oder Krankenhäuser richtet. Denn häufig sind die Gründe für solche Negativgeschichten in gesundheitspolitischen und gesellschaftlichen Problemen zu suchen. Die oft immens hohen Erwartungen an die Pflege sind unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht immer zu erfüllen.
Wir wissen um die schwierigen Rahmenbedingungen. Sie sind Fakt. Und um zu unterstreichen, dass sich da dringend etwas verändern muss, finde ich die mediale Arbeit unerlässlich. Für mich persönlich ist Pflege trotzdem einer der schönsten Berufe, man darf einfach nicht das Negative die Überhand gewinnen lassen, man muss für die positiven Geschichten und die kleinen Erfolge, die der Alltag bringt, offen und zugänglich sein. Man muss sie sehen und sehen wollen.
Wenn sich jemand grundsätzlich für ein Studium der Pflege interessiert, sich aber noch unsicher ist. Was würden Sie ihm raten?
Ich würde sagen: einfach ausprobieren. Aber es ist eine wichtige Voraussetzung, sich vorstellen zu können, Menschen in prekären Lebenssituationen begleiten zu können und vor allen Dingen begleiten zu wollen. Man muss sich auf Menschen einlassen können und wollen. Wie gesagt, es kann einer der wunderbarsten Berufe sein.
Man muss sich aber auch vergegenwärtigen, dass es ein Job ist, für den man Durchhaltevermögen braucht. Man muss gerne im Team arbeiten und kommunikative Fähigkeiten und Ehrgeiz mitbringen, weil man nur dann gut sein kann. Wenn man diese Erkenntnis über sich hat, dann soll man das Pflegestudium einfach machen, wo auch immer dann die Reise hinführt. Fest steht, wir brauchen in Zukunft einen ausgeprägten Mix an Kompetenzen, die hochqualifizierten Pflegekräfte auf der einen Seite und die angelernten auf der anderen. Hier eine Kommunikation auf Augenhöhe zu etablieren, das ist nur eine Herausforderung, vor der wir stehen.
Zur Person
Bastian Ringel (31) ist Pflegedienstleiter und stellvertretender Einrichtungsleiter im Katharinenstift in Wiesbaden, einem Lebenszentrum für Menschen mit Demenz unter der Trägerschaft der EVIM gemeinnützige Altenhilfe GmbH Wiesbaden. Bevor er dort 2009 seinen beruflichen Weg begann, studierte er an der Hochschule Fulda Pflege und machte seinen Bachelorabschluss. In einer einjährigen Nachexaminierungsphase qualifizierte er sich anschließend als Gesundheits- und Krankenpfleger. In der letzten Phase seines Studiums stellten sich für ihn die Weichen in Richtung geriatrische Pflege.
Die EVIM gemeinnützige Altenhilfe GmbH ist Projektpartner der Hochschule Fulda in Forschungsprojekten, unter anderem arbeitet sie mit dem Fachbereich Pflege und Gesundheit im Projekt EmoRobot zusammen, das den Einsatz robotischer Assistenzsysteme als Unterstützung bei der Betreuung von Personen in verschiedenen Phasen einer dementiellen Erkrankung erkundet.