Seniorinnen und Senioren testen digitalen Einkaufs- und Ernährungsassistenten
13.03.201718 Seniorinnen und Senioren aus Gersfeld und Ebersburg können in den kommenden zwei Wochen über einen digitalen Einkaufs- und Ernährungsassistenten Lebensmittel und warme Mahlzeiten von ortsansässigen Gastronomie- und Einzelhandelsbetrieben bestellen. Sie sind damit Teil eines Pilotversuchs, der vergangene Woche im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojekts der Hochschule Fulda gestartet ist. Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts ist die Entwicklung eines bedarfs- und genussorientierten Verpflegungskonzepts für Seniorinnen und Senioren, das neue assistive Techniken einbezieht.
Selbstbestimmte Ernährungsversorgung ermöglichen
„Wir wollen eine Lösung entwickeln, die älteren Menschen eine selbstbestimmte Ernährungsversorgung auch dann ermöglicht, wenn ihre Mobilität und Gesundheit eingeschränkt sind“, erläutert Prof. Dr. Stephanie Hagspihl, die das Forschungsprojekt leitet. Viele Menschen hätten den Wunsch, bis ins hohe Alter selbstständig im eigenen Haushalt zu leben. Doch gerade im ländlichen Raum, wo die Einkaufsmöglichkeiten oft Kilometer weit entfernt seien, könne dies eine enorme Herausforderung für die Betroffenen darstellen, insbesondere dann, wenn keine Unterstützung durch die Familie möglich ist. Die Modellregionen Gersfeld und Ebersburg bilden unterschiedliche infrastrukturelle Voraussetzungen ab: Während das Stadtzentrum Gersfeld und die größeren Ortschaften der Gemeinde Ebersburg über relativ umfangreiche Nahversorgungsangebote verfügen, bestehen in den umliegenden Dörfern zum Teil keine fußläufig erreichbaren Versorgungsmöglichkeiten.
Leichter, barrierefreier Zugang zu breitem Angebot
Der digitale Einkaufs- und Ernährungsassistent, der gemeinsam mit dem Fachbereich Angewandte Informatik und dem Kompetenzzentrum für Mensch-Computer-Interaktion (KMCI) entwickelt wurde, soll den Seniorinnen und Senioren ermöglichen, Produkte via Internet zu bestellen und nach Hause liefern zu lassen. Damit er auch für weniger interneterfahrene Nutzer leicht handhabbar ist, liegt das Augenmerk bei der Entwicklung auf einem barrierefreien Zugang und leichter Bedienbarkeit.
Der Assistent ist Bestell- und Informationsplattform zugleich. „Es geht uns nicht nur um einen mobilen Mahlzeitendienst, wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz“, betont Ernährungswissenschaftlerin Catherina Jansen. Und so verbindet der Einkaufs- und Ernährungsassistent ein möglichst vielfältiges Mahlzeitenangebot mit der Lieferung von Gütern des täglichen Bedarfs. Zukünftig werden niederschwellige Informations- und Unterstützungsangebote zum Beispiel bei diätischen Einschränkungen hinzukommen. „Der Markt bietet inzwischen eine Menge hochinnovativer Hilfsmittel, die bei körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen wie etwa Schluckbeschwerden Unterstützung bieten. Auch solche Angebote wollen wir zugänglich machen“, sagt die Wissenschaftlerin.
Regionale Seniorenstudie ermittelte Bedarfe
Damit das Versorgungskonzept tatsächlich nah an den Bedürfnissen und den Lebenswirklichkeiten der Zielgruppe ausgerichtet ist, haben die Fuldaer Wissenschaftlerinnen zunächst eine regionale Seniorenstudie durchgeführt, um die konkreten Versorgungsbedarfe, -wünsche und -lücken älterer Menschen zu ermitteln. Im Rahmen der GEViA-Studie unter Leitung von Prof. Jana Rückert-John, deren Schwerpunkt die Soziologie des Essens ist, befragten sie die Zielgruppe nach ihrer Alltagsorganisation, dem Einkaufs- und Essverhalten sowie den diesbezüglichen Wertehaltungen, aber auch nach dem Ernährungs- und Gesundheitsstatus sowie den sensorischen Anforderungen an Mahlzeiten und Lebensmittel. Heraus kam unter anderem, dass Regionalität und Frische die mit Abstand wichtigsten Kaufkriterien für die Zielgruppe sind.
Wirtschaftlichkeit für die Anbieter sicherstellen
Auch ökonomische Aspekte gilt es zu bedenken: „Wir müssen berücksichtigen, dass die Belieferung von Privathaushalten in ländlichen Gebieten für die Anbieter logistisch anspruchsvoll ist“, betont Prof. Hagspihl. Wichtiger Eckpfeiler ist daher die regionale Verankerung: Das Projekt vernetzt auf lokaler Ebene bereits vorhandene Angebote und Akteure wie Gastronomie und Einzelhandelsbetriebe und unterstützt diese entsprechend den Anforderungen an ein zielgruppengerechtes Versorgungssystem. „Dazu haben wir eine Vielzahl an Gesprächen mit solchen Akteuren geführt, die zu einem ganzheitlichen Versorgungsansatz beitragen können“, erläutert die Dienstleistungswissenschaftlerin Bérénice Barg. Sieben regionale Partner konnte das Projekt gewinnen: Die Metzgerei Ziegler aus Motten, das Restaurant Bella Italia aus Schmalnau, den Genussgasthof Fuldaquelle aus Gersfeld-Obernhausen, die Rhön Akademie Schwarzerden aus Gersfeld, den Bauernladen Richter aus Hettenhausen, den GEPA-Weltladen aus Thalau sowie Edeka Rehm aus Gersfeld. Ihre Produkte und Leistungen sind über den digitalen Einkaufs- und Ernährungsassistenten bestell- und abrufbar.
Die wissenschaftliche Begleitung des Testpiloten soll nun zeigen, ob das Versorgungsmodell wirtschaftlich tragfähig ist und vor allem, ob es bei der Zielgruppe Akzeptanz erfährt. Denn mit der digitalen Bestellung von Mahlzeiten und Lebensmitteln betreten die meisten Seniorinnen und Senioren Neuland. Im Sommer 2017 werden die Ergebnisse des Forschungsprojekts vorliegen. Dann soll in Workshops mit Anbietern, Kunden und kommunal Verantwortlichen entschieden werden, wie das Versorgungsmodell auch ohne die Unterstützung der Hochschule fortgesetzt werden kann. Gersfeld und Ebersburg könnten damit auch für andere Kommunen wichtige Impulse liefern.
„Unser Projekt widmet sich einem Versorgungsaspekt, der in der aktuellen Demografie-Debatte noch wenig Aufmerksamkeit erfährt“, weiß Prof. Hagspihl. „Die Seniorenstudie GEViA hat zudem ergeben, dass die meisten befragten Personen bei der Mahlzeitengestaltung und der Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs noch überwiegend unabhängig sind von der Hilfe Dritter.“ Doch die Wissenschaftlerin ist sich sicher: In Zukunft werden Ernährung und Mahlzeitengestaltung bei Unterstützungsbedarf eine wichtigere Rolle spielen.
Fachliche Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Stephanie Hagspihl
E-Mail: stephanie.hagspihl@oe.hs-fulda.de