Entwicklung geschlechtersensibler Unterstützungsangebote für Kinder aus gewaltbelasteten Familien. Erkennen – Ansprechen – Handeln

Gefördert vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst

Projektleitung: Prof. Dr. Daphne Hahn

Wissenschaftliche Mitarbeiterin: Frauke Doherr (B.Sc. Gesundheitsförderung)   

Wissenschaftliche Hilfskraft: Volker Amontow (B.Sc. Gesundheitsförderung) 

Kooperation: Hessisches Sozialministerium

Laufzeit: 01.07.2013 - 30.12.2014

Gewalt gegen Frauen stellt weltweit eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit der Betroffenen dar. Hierzu ist in den letzten Jahrzehnten viel Forschungsarbeit geleistet worden. In Deutschland finden die meisten Fälle von Gewalt gegen Frauen im häuslichen Bereich statt. Trotz dieser Erkenntnis wurde lange Zeit kaum Augenmerk auf Kinder gelenkt, die sich in den betroffenen Haushalten befinden. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass Kinder, die, wenn auch nicht direkt Opfer von Gewalt, trotzdem ebenso unter der Situation leiden wie Kinder, die selbst misshandelt werden (vgl. hierzu Heynen 2003 / Hornberg et al 2008 / Kindler 2006 / Strasser 2006 u. a.). Zudem haben Kinder, welche in der Kindheit Gewalt (mit)erlebt haben, ein signifikantes Risiko, später selbst Gewalt in der Partnerschaft zu erfahren (Schröttle 2004: 7).

Hintergrund

Neben dem Miterleben der psychischen und körperlichen Belastung der Mutter während der Schwangerschaft hören und / oder sehen betroffene Kinder später mit an, wie die Mutter wiederholter Gewalt ausgesetzt ist. In dieser belastenden Situation sind Mütter oft selbst nicht mehr in der Lage, ihre Kinder angemessen zu versorgen, oder werden dann dem Kind gegenüber selbst aggressiv. Die Kinder versuchen u. a. sich möglichst angepasst zu verhalten und geben wenig von den eigenen Bedürfnissen preis (Heynen 2003: 4 ff).

Die Auswirkungen auf die kindliche Entwicklung sind erheblich. Nach Einschätzungen von Frauenhausmitarbeiterinnen sind 30 bis 60 % der dort betreuten Kinder verhaltensauffällig, Kleinkinder weisen häufig emotionale Probleme (40 %) auf, bei älteren Kindern zeigen sich in 50 % der Fälle zusätzlich Auffälligkeiten im Sozialverhalten. Verhaltensauffälligkeiten drücken sich z. B. in Form von Unruhe, Aggressivität, Niedergeschlagenheit oder Ängstlichkeit aus. Negative Auswirkungen auf den schulischen Erfolg schließen sich an. Bei der Betrachtung geschlechtsspezifischer Ausprägungen der Verhaltensauffälligkeiten zeigt sich, dass Mädchen eher dazu neigen, Aggressivität nur im sozialen Nahraum zu zeigen, während aggressive Verhaltensformen bei Jungen eher chronifizieren. Zudem fühlen sich besonders Mädchen häufig mit für die Gewalt verantwortlich, Jungen schienen den Bedrohungsaspekt der Gewalt stärker wahrzunehmen (Kindler 2006: 38 f).

Als weitere Problematik kommt hinzu, dass für das Kind die erste Möglichkeit, seine Ängste und Nöte auszusprechen und entsprechend wahrgenommen zu werden, erst dann besteht, wenn die Mutter Kontakt zum Unterstützungssystem aufgenommen hat (Strasser 2006: 63). Das Verheimlichen der Gewalt innerhalb und außerhalb der Familie führt zu sozialer Isolation (Heynen 2003: 11), aber auch zu innerer Isolation beim Kind, da es das Erlebte nicht verarbeiten kann. Kinder wählen in ihren Berichten Formulierungen wie „innerliches Verbluten“ oder dass „alle Augen zu“ seien, wenn man weine, also niemand hinsehe, wenn in der Familie etwas nicht stimme. (Strasser 2006: 62 ff). Strasser spricht in dem Zusammenhang von seelischer Verwaisung (Strasser 2006: 58).

So, wie es auch Geschlechtsunterschiede bzgl. der Auswirkungen auf die Entwicklung gibt, so unterscheiden sich die Gründe für ein Schweigen gegenüber möglichen Vertrauenspersonen, wie z. B. Lehrkörpern auch nach Geschlecht (vgl. Seith 2007).

Demnach ist es wichtig, Berufsgruppen, die mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt kommen, für alters- und geschlechtsspezifische Anzeichen möglicher familiärer Gewalt zu sensibilisieren. Hierzu gehören Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Fachkräfte aus dem therapeutischen oder sozialpädagogischen Bereich, die sich häufig mit dem Feld der Lern-, Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten befassen. Außerdem Sozialpädagoginnen und –pädagogen, die z. B. in Jugendhäusern und –treffs die Möglichkeit haben, persönlichere Bindungen zu Kindern und Jugendlichen aufzubauen.

Vorgehen, Methoden und Projektziele

Anhand einer systematischen Literaturrecherche soll der aktuelle Forschungsstand zum Thema ermittelt werden. Relevant sind hierbei die kurz- und langfristigen Auswirkungen von miterlebter häuslicher Gewalt auf die Entwicklung und die Gesundheit von Kindern, besonders in Hinblick auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Ebenso ist von Interesse, welche Interventionen im pädagogischen und therapeutischen Bereich der Kinder- und Jugendarbeit zum Einsatz kommen, welche Wirksamkeit sie haben, ob eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen wie Beratungsstellen, Schulen / Kitas, medizinische / therapeutische Versorgung existiert und wie diese sinnvoll gestaltet werden kann. 

Im hessischen Raum gibt es bisher nur wenig Hinweise auf konkrete Kooperationsprojekte zwischen Interventionsstellen bei häuslicher Gewalt und Kindertagesstätten oder Schulen. Ziel des Projekts ist es daher, zu untersuchen, ob und in welchem Umfang die geschlechtsspezifischen Auswirkungen und Verarbeitungsmuster von Kindern und Jugendlichen, die elterliche Gewalt miterleben bzw. miterlebt haben, bekannt sind, sowie ob und inwieweit sie den Erfahrungen aus der täglichen Arbeit entsprechen. Zusätzlich sollen die regionalen Hilfsangebote für Kinder und Jugendliche, deren Vernetzungs- und Kooperationsstrukturen sowie Zugangswege ermittelt werden. 
 Hierzu sollen daher anhand von Fokusgruppen Mitarbeiterinnen von Frauenhäusern und Frauenberatungsstellen in Hessen sowie Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen und –therapeuten befragt werden. Die Fokusgruppen sollen per Kamera aufgezeichnet und mittels der Methode Focusgroup Illustration Map dokumentiert und ausgewertet werden. Zusätzlich sollen sequentielle Analysen relevanter Ausschnitte die Auswertung vertiefen.
 Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen genutzt werden, um relevante Berufsgruppen aus der Kinder- und Jugendarbeit zu ihrer Wahrnehmung dieser Hinweise auf mögliche häusliche Gewalt zu befragen. Hierzu gehören Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Therapeutinnen und Therapeuten verschiedener Fachrichtungen, aber auch Personen, die im Freizeitbereich beruflich Kontakt mit Kindern und Jugendlichen haben, wie z. B. Sozialpädagoginnen und -pädagogen. Die Datenerhebung soll wiederum anhand von Fokusgruppen erfolgen, wie oben bereits beschrieben.

Die Ergebnisse sollen  

  1. Hinweise auf die aktuellen Kompetenzen der genannten Berufsgruppen in Hinblick auf die Identifizierung von und den Umgang mit Kindern und Jugendlichen, die Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt geben,
  2. aufzeigen, wie die Umsetzung des aktuellen Wissensstandes zum Thema erfolgt,
  3. zeigen, welcher Aus- und Fortbildungsbedarf bei den genannten Berufsgruppen besteht und 
  4. Formen der Vernetzung und Kooperation aufzeigen, die deutlich machen, ob, zwischen wem und in welchem Rahmen derzeit eine Zusammenarbeit stattfindet, d. h. beispielsweise zwischen welchen beteiligten Berufsgruppen, Personen oder Institutionen, wenn bei einem Kind der Verdacht auf häusliche Gewalt besteht oder bestätigt ist.

Literatur

Heynen, S. (2003): Häusliche Gewalt: direkte und indirekte Auswirkungen auf die Kinder. Kinder als Zeugen und Opfer häuslicher Gewalt. Online verfügbar unter www.dvjj.de/download.php, zuletzt aktualisiert am 05.11.2003, zuletzt geprüft am 17.11.2012.

Hornberg, C.; Schröttle, M.; Bohne, S.; Khelaifat, N.; Pauli, A. (2008): Gesundheitliche Folgen von Gewalt unter besonderer Berücksichtigung von häuslicher Gewalt gegen Frauen. Unter Mitarbeit von K. Horch. Berlin (Gesundheitsberichterstattung des Bundes). 

Kindler, H. (2002): Partnerschaftsgewalt und Kindeswohl. Eine meta-analytisch orientierte Zusammenschau und Diskussion der Effekte von Partnerschaftsgewalt auf die Entwicklung von Kindern: Folgerungen für die Praxis. München. 

Kindler, H. (2006): Partnergewalt und Beeinträchtigung kindlicher Entwicklung: Ein Forschungsüberblick. In: B. Kavemann und U. Kreyssig (Hg.): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 36–53.

Schröttle, M. (2004): Lebenssituation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland. Ergebnisse der ersten Repräsentativuntersuchung zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland. Vortrag. Köln. Online verfügbar unter www.europarl.europa.eu/hearings/20050621/femm/schroettle2_de.pdf, zuletzt aktualisiert am 01.07.2005, zuletzt geprüft am 17.11.2012.

Seith, C. (2006): "Weil sie dann vielleicht etwas Falsches tun" - zur Rolle von Schule und Verwandten für von häuslicher Gewalt betroffene Kinder aus Sicht von 9-17 Jährigen. In: B. Kavemann und U. Kreyssig (Hg.): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 103–124.

Strasser, P. (2006): "In meinem Bauch zitterte alles." Traumatisierung von Kindern durch Gewalt gegen die Mutter. In: B. Kavemann und U. Kreyssig (Hg.): Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.